Archer, Jeffrey
Unermüdlich versuchte Florentyna ihre tägliche Arbeitslast zu bewältigen, und alle vierzehn Mitarbeiter fragten sich, wieviel man ihr noch aufbürden konnte, bevor sie zusammenbrach. Im Senat hatte sie sich bald den gleichen Ruf verschafft wie im Repräsentantenhaus – eine Frau, die nur den Mund aufmachte, wenn sie gut informiert war, eine Frau, die mit Überzeugung und Verstand sprach. Wann immer es um Probleme ging, bei denen sie sich nicht sicher fühlte, schwieg sie. Im Zusammenhang mit verschiedenen Verteidigungsfragen stimmte sie gegen ihre eigene Partei und auch, als es um die neue, vom letzten Krieg im Nahen Osten ausgelöste Energiepolitik ging.
Als einzige demokratische Senatorin erhielt sie aus allen Landesteilen Einladungen zu Vorträgen, und die anderen Senatoren merkten rasch, daß Florentyna Kane nicht die Alibi-Frau der Demokraten im Senat war, sondern jemand, den man nicht unterschätzen durfte.
Sie war stolz, sehr häufig in den engsten Kreis um den Fraktionsführer eingeladen zu werden, um sowohl parteipolitische wie nationale Probleme zu erörtern.
Während ihrer ersten Periode als Senatorin befürwortete sie einen Zusatzantrag zur Small Business Bill, der jenen Firmen großzügige Steuererleichterungen gewährte, die mehr als fünfunddreißig Prozent ihrer Produktion exportierten. Es war seit langem ihre Überzeugung, daß Firmen, die nicht exportorientiert waren, sich den gleichen größenwahnsinnigen Illusionen hingeben wie die Engländer in den fünfziger Jahren. Wenn man hier keine Änderung herbeiführte, erklärte sie, würden sich die Amerikaner im 21. Jahrhundert jenen Problemen gegenübersehen, die die Engländer in den achtziger Jahren nicht hatten bewältigen können.
In den ersten drei Monaten beantwortete sie fünftau-sendvierhundertsechzehn Briefe, gab neunundsiebzigmal ihre Stimme ab, sprach bei acht Anlässen im Senat, vierzehnmal bei anderen Gelegenheiten, und versäumte in neunzig Tagen nur dreiundvierzigmal das Mittagessen.
»Auf meine Linie muß ich nicht achtgeben«, sagte sie zu Janet. »Ich wiege weniger als mit vierundzwanzig Jahren
– damals, als ich meine erste Boutique in San Francisco eröffnete.«
Der zweite Todesfall war ein ebenso großer Schock wie der erste.
Das Hausmädchen meldete dem Butler, daß Mrs. Kate Kane nicht punkt acht Uhr zum Frühstück erschienen sei.
»Dann muß sie gestorben sein«, sagte der Butler.
Kate Kane war neunundsiebzig, als sie nicht zum Früh-stück kam. Die Familie versammelte sich zu einem feierlichen Begräbnis. Der Gottesdienst fand in der Trinity Church statt, und der Gegensatz zu Miss Tredgolds Einsegnung hätte nicht größer sein können. Der Bischof sprach zu einer Gemeinde, die, hätte man all ihren Landbesitz zusammengelegt, von Boston nach San Francisco auf eigenem Grund und Boden hätte gehen können. Alle Kanes und Cabots waren anwesend, ebenso zwei weitere Senatoren und ein Kongreßabgeordneter.
Fast alle, die Großmutter Kane gekannt, und viele, die sie nicht gekannt hatten, füllten die Kirchenstühle hinter Richard und Florentyna. Sie schauten zu William und Joanna hinüber; Joanna sah aus, als würde das Baby in einem Monat zur Welt kommen, und es stimmte Florentyna traurig, daß Kate nicht mehr Urgroßmutter Kane sein würde. Nach dem Begräbnis verbrachte die Familie ein stilles Wochenende im Red House auf Beacon Hill. Jetzt war Richard das Familienoberhaupt der Kanes, und damit vergrößerte sich seine bereits erdrückende Arbeitslast noch mehr. Florentyna wußte, daß er nie ein Wort der Klage äußern würde, und sie fühlte sich schuldbewußt, daß sie gar nichts tun konnte, um ihm das Leben ein wenig zu erleichtern.
Kates Testament war vernünftig und vorsichtig. Der Großteil des Vermögens ging an Richard und seine beiden Schwestern, William und Annabel erhielten großzügige Legate: William sollte an seinem dreißigsten Geburtstag zwei Millionen Dollar erhalten, Annabel von den Zinsen weiterer zwei Millionen leben, bis sie fünfundvierzig Jahre war oder zwei legitime Kinder hatte. Großmutter Kane war eine kluge Frau gewesen.
In Washington hatte der Kampf um die Halbzeitwahlen schon begonnen, und Florentyna war glücklich, sechs Jahre vor sich zu haben, bevor sie sich wieder ihren Wählern stellen mußte. Zum erstenmal hatte sie die Chance, wirkliche Arbeit leisten zu können, ohne nach zwei Jahren von Parteistreitigkeiten abgelenkt zu werden.
Sie wurde jedoch von so vielen Kollegen
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