Archer, Jeffrey
Angelegenheit konsultiert hätte.
Während des ersten Jahres als Vizepräsidentin unternahm Florentyna Reisen nach Brasilien und Japan, wohnte dem Begräbnis von Willy Brandt in Berlin und von Edward Heath in London bei, besuchte die Überlebenden dreier Naturkatastrophen und leitete so viele Arbeitsaus-schüsse, daß sie das Gefühl hatte, einen Leitfaden für die Regierungsmaschinerie herausgeben zu können.
Das erste Jahr verging langsam, das zweite noch langsamer. Einziger Lichtblick: sie vertrat die Regierung bei der Krönung Charles III in der Westminster Abbey, nachdem Königin Elizabeth II1994 abgedankt hatte.
Florentyna wohnte im Winfield House bei Botschafter John Sawyer und stellte fest, wie ähnlich ihre Aufgaben waren, was die Wichtigkeit der Form und die Unwichtig-keit des Inhaltes betraf. Sie verbrachte viele Stunden mit der Erörterung der Lage im allgemeinen und des Aufmar-sches russischer Truppen an der Grenze von Pakistan im besonderen. Ihre Informationen stammten zumeist aus der Washington Post, und sie beneidete Ralph Brooks, der sich als Außenminister im Zentrum des Geschehens befand. Obwohl sie versuchte, über alles informiert zu sein, verspürte sie Langeweile. Ihre Jahre als Vizepräsidentin schienen wenig Positives zu bringen, und sie sehnte 1996 herbei.
Nach ihrer Rückkehr verbrachte Florentyna den Rest der Woche mit dem Studium von CIA-Meldungen und anderen Berichten, die sich während ihres Aufenthaltes auf dem Schreibtisch gehäuft hatten. Obwohl C.B.S.
meldete, daß der Dollar infolge der angespannten internationalen Lage falle, verlebte sie ein ruhiges Wochenende.
Die Russen verstärkten weiterhin ihre Truppen an der pakistanischen Grenze, was der Präsident in seiner wöchentlichen Pressekonferenz »als nicht besonders wichtig« abgetan hatte. Die Sowjets, so versicherte er, seien nicht daran interessiert, die Grenzen von Staaten zu verletzen, die mit den Vereinigten Staaten Verträge hatten.
In der folgenden Woche schien sich die Lage zu beruhigen, und der Dollar erholte sich. »Das ist eine kosmetische Erholung«, sagte Florentyna zu Janet,
»infolge der massiven Goldverkäufe der Sowjets; genau das gleiche geschah vor der Besetzung Afghanistans. Ich wollte, die Bankiers würden die Geschichte nicht immer so kurzfristig betrachten.«
Verschiedene Politiker und Journalisten äußerten gegenüber Florentyna ihre Befürchtungen, sie aber konnte nichts anderes tun, als sie beruhigen und die Ereignisse abwarten. Zunächst dachte sie daran, den Präsidenten um eine Unterredung zu bitten, aber schon Freitag bereiteten sich die meisten Amerikaner, überzeugt, daß keine unmittelbare Gefahr bestand, auf ein friedliches Wochenende vor. Florentyna blieb in ihrem Büro und studierte abends die Kabel der Botschaften und Agenten aus dem indischen Subkontinent.
Immer weniger schien ihr der Optimismus des Präsidenten gerechtfertigt. Da sie nichts unternehmen konnte, faltete sie alle Schriftstücke zusammen, steckte sie in eine eigene Mappe und wollte eben das Büro verlassen. Es war sechs Uhr zweiunddreißig. Edward war aus New York gekommen, um halb acht sollte sie ihn zum Dinner treffen.
In diesem Moment stürzte Janet ins Zimmer.
»Ein Bericht des Geheimdienstes ist eingetroffen; die Sowjets mobilisieren.«
»Wo ist der Präsident?« war Florentynas erste Reaktion.
»Keine Ahnung. Vor etwa drei Stunden sah ich ihn per Helikopter das Weiße Haus verlassen.«
Florentyna öffnete wieder die rote Mappe und starrte auf die Kabel, während Janet vor dem Schreibtisch stehenblieb.
»Wer weiß, wo er sein könnte?«
»Sicherlich Ralph Brooks«, erwiderte Janet.
»Verbinde mich mit dem Außenminister.«
Janet ging in ihr eigenes Büro, und Florentyna studierte nochmals alle Berichte – die wesentlichen Punkte in den Meldungen des amerikanischen Botschafters in Islamabad, und die Stellungnahme General Pierce Dixons, des Generalstabchefs.
Es gab verläßliche Nachrichten, daß zehn russische Divisionen an der afghanischpakistanischen Grenze standen, die in den letzten Tagen wesentliche Verstärkung erhalten hatten. Man wußte, daß die Hälfte der pazifischen Flotte der Sowjets in Richtung Karachi unterwegs war, während zwei Kampfverbände im Indischen Ozean
»Manöver« abhielten. General Dixon ordnete eine verstärkte Nachrichtenüberwachung an, als bekannt wurde, daß um sechs Uhr abend fünfzig MIG-25 und SU-7
auf dem Militärflugplatz von Kabul gelandet waren.
Florentyna
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