Archer, Jeffrey
sagte er zu Richard gewandt. »Ich wußte doch nicht… So viele Irrtümer in so vielen Jahren.
Nicht einen Augenblick dachte ich, daß dein Vater mein Wohltäter sein könnte. Gott ist mein Zeuge, ich wollte, ich hätte eine Chance gehabt, ihm persönlich zu danken.«
»Er hätte dich verstanden«, sagte Richard. »Es gab eine Klausel in den Bestimmungen des Familienfonds, die es ihm verbat, seine Identität preiszugeben, um eventuelle Konflikte zwischen beruflichen und privaten Interessen zu vermeiden; nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, bei sich eine Ausnahme zu machen. Das war einer der Gründe, warum ihm seine Klienten ihre Ersparnisse anvertrauten.«
»Selbst über seinen Tod hinaus?« fragte Florentyna.
»Ich war ebenso starrköpfig«, sagte Abel.
»Nachher sieht man immer klarer«, warf Richard ein.
»Wer konnte ahnen, daß Henry Osborne so viel anrichten würde.«
»Dein Vater und ich, wir haben einander an dem Tag gesehen, an dem er starb.«
Verblüfft sahen ihn Florentyna und Richard an.
»Ja«, sagte Abel. »Es war auf der Fifth Avenue – er kam, um die Eröffnung deines Geschäftes mitanzusehen.
Er zog den Hut. Das war genug. Wirklich.«
Bald sprachen sie von glücklicheren Tagen; sie lachten ein wenig und weinten viel.
»Du mußt verzeihen, Richard«, sagte Abel. »Die Polen sind ein sentimentales Volk.«
»Ich weiß«, erwiderte Richard, »meine Kinder sind halbe Polen.«
»Könnt ihr heute abend mit mir essen?«
»Gern«, sagte Richard.
»Hast du je ein richtiges polnisches Fest erlebt, mein Junge?«
»Seit zehn Jahren jede Weihnachten«, antwortete Richard.
Abel lachte und sprach von der Zukunft und von den Plänen für seine Hotelgruppe. »In jedem Hotel muß eine deiner Boutiquen sein, Florentyna.«
Sie stimmte zu.
Abel hatte nur eine Bitte an Florentyna: daß sie und Richard ihn in neun Monaten nach Warschau zur Eröffnung des Baron-Hotels begleiten sollten. Richard versprach, daß sie beide kommen wollten.
Während der folgenden Monate waren Abel und Florentyna oft beisammen, und Abel lernte, seinen Schwiegersohn zu respektieren. George hatte ganz recht gehabt – warum war er nur so störrisch gewesen?
Er vertraute Richard an, daß seine Rückkehr nach Polen für Florentyna unvergeßlich werden sollte. Er hatte seine Tochter gebeten, das Hotel zu eröffnen, sie aber hatte darauf bestanden, daß nur der Präsident der Gruppe diese Aufgabe übernehmen konnte, obwohl ihr die Gesundheit des Vaters Sorgen machte.
Woche für Woche verfolgten Vater und Tochter die Fortschritte des neuen Hotels. Als der Termin der Eröffnung näherrückte, übte der alte Mann seine Rede vor der Tochter.
Gemeinsam fuhr die Familie nach Warschau und begut-achtete das erste westliche Hotel hinter dem Eisernen Vorhang, um sich zu vergewissern, daß es genau Abels Wünschen entsprach.
Die Eröffnung fand in dem großen Park vor dem Hotel statt. Der polnische Minister für Tourismus begrüßte die Gäste, dann bat er die Präsidentin der Baron-Gruppe, vor der Eröffnungszeremonie ein paar Worte zu sagen.
Abels Rede wurde genauso gehalten, wie er sie aufgesetzt hatte, und am Ende standen die tausend Gäste auf und jubelten und applaudierten.
Dann reichte der Minister der Präsidentin eine große Schere, Florentyna durchschnitt das Band vor dem Eingang des Hotels und sagte: »Hiermit erkläre ich das Warschauer Baron-Hotel für eröffnet.«
Florentyna fuhr nach Slonim, um die Asche ihres Vaters in dessen Geburtsort zu bringen. Als sie an der Stelle stand, an der ihr Vater geboren worden war, gelobte sie, die Herkunft ihrer Familie nie zu vergessen.
Richard versuchte sie zu trösten; in der kurzen Zeit, die ihm gemeinsam mit seinem Schwiegervater verblieben war, hatte er die vielen Qualitäten kennen- und schätzengelernt, die dieser an seine Tochter weitergegeben hatte.
Florentyna wußte, daß sie die Kürze der Versöhnungs-zeit nie verschmerzen würde. So viel hätte sie ihrem Vater noch erzählen wollen, so viel noch von ihm lernen. Immer wieder dankte sie George, daß die Familie wenigstens für kurze Zeit wieder vereint gewesen war; für ihn war der Verlust mindestens ebenso bitter. Der letzte Baron Rosnovski ruhte in der Heimaterde, sein einziges Kind und sein bester Freund kehrten nach Amerika zurück.
DIE GEGENWART
1968-1982
23
Florentyna Kanes Bestellung zur Präsidentin der Baron-Gruppe wurde am Tag ihrer Rückkehr von Warschau vom Aufsichtsrat bestätigt. Richard riet seiner
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