Argus #5
hatte. Anonym . Da waren die Pressluftbohrer. Jetzt wurden die Wände eingerissen.
«Ein Durchsuchungsbefehl ist ein Werkzeug von großer Durchschlagskraft», fuhr die Richterin fort. Sie wählte ihre Worte mit ebenso viel Bedacht, wie Vance es zuvor getan hatte, doch er wusste, dass das hauptsächlich dem Gerichtsschreiber galt. So bereitete sie den Boden für die Revision, auf die es zwangsläufig hinauslief. «Er ermöglicht der Polizei den Zugang zu einem Privathaus, einem Büro oder einem Fahrzeug, damit dort nach Beweisen für ein Verbrechen gesucht werden kann. Die eidesstattliche Erklärung, die einem eingereichten Durchsuchungsbefehl beiliegt, muss den hinreichenden Verdacht bestätigen, dass erstens ein Verbrechen stattgefunden hat und zweitens Beweise für dieses Verbrechen an der zu durchsuchenden Örtlichkeit zu finden sind. Dieser hinreichende Verdacht wird über Tatsachen belegt. Die Tatsachen sind in der eidesstattlichen Erklärung des Ermittlers so darzulegen, dass der Richter allein durch die Konsultation dieser eidesstattlichen Erklärung beurteilen kann, ob hinreichender Verdacht vorliegt. Damit der Ermittler nicht jeden einzelnen Zeugen, von dem er seine Informationen hat, vor den Richter schleppen muss, hat die Justiz hinsichtlich der Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen bestimmte Regeln festgesetzt. Mit der eidesstattlichen Erklärung von Detective Alvarez haben wir nun das Problem, dass der Tatverdacht unter Verwendung einer anonymen Quelle, namentlich Marie Modic, festgestellt wurde. Ms. Modics Identität wird in der Erklärung nicht offengelegt. Also war sie auch Richter Paulus nicht bekannt. Das Gericht unterscheidet zwischen namentlich genannten Staatsbürgern und geheimen Informanten beziehungsweise anonymen Quellen. Während Informationen, die von namentlich genannten Staatsbürgern stammen, grundsätzlich als zuverlässig betrachtet werden, gilt das für die Informationen anonymer Quellen nicht. Im vorliegenden Fall mag es sich dabei um eine semantische Spitzfindigkeit handeln, aber es ist nun mal der Wortlaut des Gesetzes. Die Glaubwürdigkeit einer anonymen Quelle muss gesondert überprüft und in der eidesstattlichen Erklärung dargelegt werden. Informationen einer anonymen Quelle, dem rechtlichen Äquivalent zum anonymen Anruf, werden als besonders zweifelhaft betrachtet. Es gibt keine Möglichkeit, die Glaubwürdigkeit des anonymen Hinweisgebers gesondert zu überprüfen, weil man ja nicht weiß, wer er ist. In seiner eidesstattlichen Erklärung beruft sich Detective Alvarez auf die mittelbaren Aussagen einer anonymen Quelle – deren Identität er sogar kannte, aber durchaus verständlicherweise nicht preisgeben wollte. Unglücklicherweise wurde die Verlässlichkeit der Quelle in der Erklärung aber nicht gesondert dargelegt.»
«Euer Ehren», widersprach Vance, «mir ist klar, worauf Sie hinauswollen, und ich bitte Sie, mir die Einrede zu erlauben, bevor Sie den Schritt dorthin tun. Auch wenn Marie Modic von Detective Alvarez unzutreffend als anonyme Quelle bezeichnet wurde, war das doch ein unabsichtliches Versäumnis. Sie sagen selbst, das sind semantische Spitzfindigkeiten. Es handelt sich ganz offensichtlich um eine namentlich genannte Staatsbürgerin, denn er wusste ja, wer sie ist. Und selbst wenn das Gericht darauf beharren sollte, Ms. Modic als anonyme Quelle zu betrachten, wurden ihre Informationen trotzdem gesondert bestätigt, als Detective Alvarez die Unterlagen von Automotive Experts überprüft hat und dadurch Talbot Lunders identifizieren konnte.»
Die Richterin schüttelte den Kopf. «Das reicht mir nicht als gesonderte Bestätigung.»
Manny spürte ein Grummeln im Magen. Für ihn war dieser rasche rechtliche Schlagabtausch wie ein Streit, den zwei Leute auf Russisch führten: Man verstand nicht allzu viel, bekam aber instinktiv mit, dass es nichts Gutes zu bedeuten hatte. Es war schon schlimm genug, hier als Zeuge zu sitzen und hilflos mitanzuhören, wie diese Streithähne sprachliche Feinheiten zerpflückten, während kostbare Zeit verstrich und ein paar hundert Kilometer weiter nördlich die Welt zusammenzubrechen drohte – aber zuzuschauen, wie sein Fall plötzlich den Bach runterging, wegen irgendeinem undurchschaubaren juristischen Mist, den er hätte bedenken können, aber nicht bedacht hatte, als er vor Monaten einen blöden Durchsuchungsbefehl beantragte, das war einfach zu viel. Er sah immer nur Darias Gesicht, hörte immer wieder die Nachricht,
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