Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)
gegen null tendieren. Einfach nur ein cleverer Geschäftsmann? Oder steckte vielleicht etwas anderes dahinter? Könnte es sein, dass er einfach nicht in der Lage war, feuerfeste Schalen für den Garten oder gehäkelte Deckchen zu produzieren? Nein, sicher nicht. Aber wenn ein Kunsthandwerker Jahre damit zubringt, das Präparieren von Leichen zu lernen? Verkaufte er die Leichenteile? Nein, das wäre ganz sicher aufgefallen. Aber wenn er so viel Arbeit darauf verwendete, musste es Teil seiner Mission sein. War es möglich, dass er sich als verkannter Künstler fühlte? Als jemand, der gezwungen war, auf diesen Märkten den Trödel zu verkaufen, aber in Wahrheit an etwas ganz anderem, viel Größerem arbeitete? Paul Regen blieb stehen. Es war eine Möglichkeit. Nein, es war mehr als das. Es war eine Theorie. Er betrachtete die Menschen hinter ihren Ständen und blickte in ihre gelangweilten Gesichter, wenn sich kein Kunde für ihre Waren interessierte. Und er sah seinen Mörder hinter einem der Stände. Und der Mörder träumte von seinem Schachbrett. Seine Waren mussten gar nichts mit Schach zu tun haben, wie Dominique Lagrand vermutete. Es war für ihn egal, was er verkaufte. Es war der Teil seines Lebens, der ihm die Reisen ermöglichte. Und damit seine Morde. Es war Mittel zum Zweck. Sie suchten einen Künstler. Einen Künstler, der auf dem Land lebte, möglicherweise weit ab vom nächsten Dorf, denn er brauchte ja den Platz für sein Schachbrett. Und der aus Portugal kam. Da müssten der Statistikjunkie und der Spanier mit seiner Zauberkiste doch etwas draus machen können, oder nicht? Paul Regen spürte die ersten Tropfen des Regenschauers auf seiner Nase. Zeit, wieder ins Büro zu fahren. Zeit, dem Kerl das Handwerk zu legen. Wenn nur Solveigh mit dem flüchtigen Mädchen endlich vorankäme. Dann hätten sie vielleicht noch eine Chance, die Königin zu retten.
KAPITEL 84
Dortmund, Deutschland
Sonntag, 4. August 2013, 15.08 Uhr (zur gleichen Zeit)
»Sie machen einen Riesenaufstand wegen dir«, sagte Derek und stellte zwei gelbe Tüten auf den Esstisch, die exotisch dufteten. Er ließ Lila bei sich wohnen. Und er hatte während der letzten zwei Tage keinerlei Anstalten gemacht, sie anzufassen. Lila war sich ziemlich sicher, dass sie nicht mit ihm geschlafen hatte. Wenn sie ehrlich war, war Derek der einzige Lichtblick ihres Lebens.
»Was sind das für Bilder?«, fragte er.
Lila klaubte die Fotos von Ioana zusammen und steckte sie in die Seitentasche ihrer Lederjacke.
»Jedenfalls hängen überall Plakate von der Polizei. In der ganzen Stadt. So etwas habe ich überhaupt noch nie erlebt. Und im Internet soll auch eine Suchaktion laufen, sagen sie. Was bist du, eine Terroristin?«
Lila musste so verängstigt gewirkt haben, dass Derek lächeln musste.
»War doch nur ein Scherz«, sagte er und startete seinen Computer. Er loggte sich bei facebook ein und deutete auf den Bildschirm.
»Schau mal, Liliana. Alles voll von dir.«
Lila warf einen Blick auf den Bildschirm. Und tatsächlich schrieben dort offenbar wildfremde Menschen, dass sie gesucht würde und dass sie sich bitte bei einer Polizeidienststelle melden sollte. Und auch ein Bild von Ioana war dort zu sehen. Ging es um sie? Hatte die Polizei sie gefasst? Sie musste Derek fragen. Lila zog die Bilder wieder aus der Jackentasche.
»Das ist meine Freundin«, sagte Lila und deutete auf den Bildschirm. Auf ihren Passbildern sahen sie ganz anders aus als auf den Aufnahmen, die Mark in Valentinas Wohnzimmer von ihr gemacht hatte. Aber die Ähnlichkeit war nicht zu übersehen.
»Was steht da über Ioana?«, fragte Lila mit zitternder Stimme.
»Da steht, dass sie auch deine Freundin suchen und dass sie mit dir reden wollen, weil du ihnen dabei möglicherweise helfen kannst.«
»Dann müssen wir das machen!«, rief Lila und schnappte sich ihre Jacke.
»Moment«, sagte Derek und drückte sie zurück auf ihren Stuhl. »Nicht so schnell, Liliana. Die stecken dich in einen Flieger zurück nach Moldawien, bevor du überhaupt Hallo gesagt hast.«
Lila sank auf den Stuhl. »Aber wenn es um Ioana geht, dann müssen wir doch helfen!«, sagte sie.
»Ich sage ja auch nicht, dass wir nicht mit denen reden. Aber ich glaube, es wäre besser, wenn ich da erst einmal vorfühle. Vielleicht kann ich was raushandeln«, sagte Derek.
»Das würdest du machen?«, fragte Lila vorsichtig. Sie wusste immer noch nicht, was sie von der Hilfsbereitschaft des Fotografen halten
Weitere Kostenlose Bücher