Aries
Behutsam führte sich mich den Abhang hinunter. Aries tauchte nicht auf.
Als wir unsere Mitschüler eingeholt hatten, ließ mich Marie los und wir gingen schweigend nebeneinander her. Hinter uns war nichts mehr zu hören. Dafür war vor uns ein Heidenlärm. Sehen konnte ich unsere Mitschüler nicht, obwohl sich meine Augen lange an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
Doch Marie half mir. Ich vertraute ihr und wusste, dass Aries unseren Rücken deckte. Vor wem auch immer. Unter den Laternen, auf dem Platz vor unserer Unterkunft, hatte sich unsere Klasse versammelt. Die Kleidung verdreckt und schlammig. Viele Mädchen schluchzten, und alle fragten sich, was das sollte. Wo war Sophie? Warum hatte sie uns in der Dunkelheit allein gelassen? Keiner wusste eine befriedigende Antwort. Marie und ich verweilten im Schatten des Hauses und ich starrte in den Wald.
>> Ich kann ihn nicht sehen. <<, jammerte ich leise.
>> Er ist da. <<, grinste Marie. >> Er sieht dich. <<
Vom Glühen ihrer Augen keine Spur mehr. Mir wurde immer kälter und meine Zähne klapperten unkontrolliert aufeinander. Maries Hand ergreifend, ging ich auf den Hauseingang zu und zog sie hinter mir her.
>> Genauso gut können wir ins Haus gehen, als hier zu erfrieren. Wir können auch drinnen auf Sophie warten. <<, sagte ich laut und die Meisten unserer Klassenkameraden nickten. Nur einige Wenige verweilten zögerlich und stellten Überlegungen an, ob sie nicht Bescheid geben müssten oder einen Suchtrupp nach Sophie auslösen sollten, als diese aus dem Wald gerannt kam.
>> Geht es euch allen gut, Kinder? Wo wart ihr? Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Als ich vom Austreten zurückkam, war keiner mehr von euch da. <<, schrie sie los.
Wir waren stehengeblieben und ich starrte sie mit offenem Mund an. Was für eine hinterhältige Lügnerin … Sie muss uns doch gehört haben. Wütend kuckte ich Marie an. Sie musterte Sophie kalt. Unsere Mitschüler stürzten auf Sophie zu, und schrien wild und aufgeregt durcheinander. Sophie kuckte sich den Trubel einige Zeit an und kommandierte dann lautstark, als wenn keine Erklärung nötig wäre:
>> Alle auf eure Zimmer! Wir werden das morgen, nach dem Frühstück auswerten. Für heute ist es genug. <<
Allgemeines zustimmendes Gemurmel folgte und alle liefen verwirrt, aber heftig diskutierend, los. Da wir dem Haus am nächsten standen, waren wir auch die Ersten, die es betraten. Schnurstracks rannten wir die Treppe hinauf, und als wir die Tür hinter uns geschlossen hatten, ließ sich Marie erschöpft aufs Bett sinken. Müde setzte ich mich, vergrub meinen Kopf in den Händen und schloss die Augen. Mein Gott, dachte ich, was hat diese Frau vor? Sie muss verrückt sein. Was hätte alles passieren können? Wir hätten abstürzen können und Arme und Beine brechen und Schlimmeres … wütend sah ich zu Marie.
Sie lag auf dem Rücken, die Augen geschlossen. Leise stand ich auf und löschte das Licht. Marie rührte sich nicht mehr. Behutsam legte ich eine Decke über sie und kroch in mein Bett zurück. Mit meiner Kraft am Ende schlief ich sofort ein. Alpträume plagten mich: - Eulenschreie, glühenden Augen und eine schallend lachende Sophie, die zusah, wie meine Klasse den Abgrund hinunter, in den Tod stürzte.
Jemand rüttelte meine Schulter und ich wachte schweißgebadet auf. Marie beugte sich über mich und flüsterte:
>> Ist ja gut Fränni, beruhige dich. <<
>> Ich will nach Hause. Ich will nur nach Hause. <<, jammerte ich leise und Marie sah mich mitleidig an.
>> Du hast geschrien. <<, stellte sie fest und strich mir das Haar aus dem Gesicht.
>> Ich habe geträumt und sah, wie Sophie schallend lachend auf dem Plateau stand und zusah, wie wir alle in den Tod stürzten. Sie ist total verrückt. Wie konnte sie uns nur so täuschen. Ich dachte, sie wäre nett. <<, flüsterte ich.
>> Ja, das dachte ich auch. Sie hat uns alle an der Nase herum geführt. << Marie küsste ihre Fingerspitze und legte sie mir auf den Mund. >> Schlaf jetzt weiter. Ich bin gespannt, wie sie es morgen erklären will. << Müde krabbelte sie in ihr Bett zurück.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, kam Marie aus dem Bad und lächelte.
>> Morgen Fränni. <<
>> Morgen. <<, stöhnte ich gähnend.
Sie zog sich an und lief zur Tür.
>> Ich warte unten auf dich. Ich will mal sehen, ob ich Aries finden kann. <<
>> Schöne Grüße von mir. <<, rief ihr nach.
>> Mach ich. << Und weg war sie.
Ich hüllte mich in meine Decke und schob die Balkontür auf. Nebelig und
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