Aries
Moment ließ Marie Ihre Decke fallen, und sprang mit einem Satz über die Balkonbrüstung. Fassungslos entfuhr mir: >> Nein! << und ich stürzte ans Gitter.
Panisch suchte ich den Boden ab. Nichts. Das Fauchen war durch meinen Aufschrei, für einen winzigen Augenblick unterbrochen, um jetzt erneut, umso wilder zu erklingen. Im Wimpernschlag einer Sekunde hatte ich mir vorgestellt, Marie, dort unten tot liegen zu sehen. Wie hoch war der Balkon? Drei Stockwerke? Geschätzte zehn Meter? Verzweifelt suchte ich, den Boden der näheren Umgebung ab, den ich durch den Lichtschein der Laterne gerade noch sehen konnte. Keine Marie. Das Fauchen und Knurren entfernte sich. Es wurde leiser, ließ aber an Intensität nicht nach. Mein Körper schlackerte und das nicht nur vor Kälte. Ich konnte das Schütteln kaum unter Kontrolle bringen.
Ich hatte Angst um Marie und stand wie erstarrt. Fieberhaft fixierte ich die Dunkelheit, als das Fauchen schlagartig abbrach. Stille. Doch ich konnte mich nicht rühren und hielt krampfhaft das Geländer umklammert, bis ich hinter mir die Zimmertür hörte.
Ruckartig drehte ich um und stürzte hinein. Marie zog ihr Nachthemd aus und ließ es auf den Boden fallen. Es war völlig verdreckt. Sie sah mich nicht an, sagte kein Wort und verschwand im Bad. Fassungslos sah ich ihr nach und schloss automatisch die Balkontür. Ich legte mich ins Bett und zog die Beine an. Mein Körper vibrierte und ich atmete tief ein und konzentriere mich darauf. Zählte jeden Atemzug. Unendliche Zeit später wurde das Schütteln weniger, bis es ganz aufhörte. Meine Beine begannen zu kribbeln. Gut, dachte ich, das Blut kehrt zurück. Mein Gott, in was bin ich da hineingeraten? Ich wollte es jetzt nicht wissen.
Mit geschlossenen Augen bemühte ich mich um innerliche Ruhe, und sah vor meinem geistigen Auge, Marie immer wieder über die Brüstung springen. Ich war so erschrocken, und hatte mir das Schlimmste ausgemalt und jetzt, kam sie herein und ihr fehlte nichts. Ein paar dreckige Klamotten, das war’s. Wer konnte so was lebend überstehen? Ich wäre am Boden zerschellt, oder wenigstens hätte ich mir sämtliche Knochen gebrochen.
Im Einschlafen begriffen, hörte ich Marie aus dem Bad kommen und sich ins Bett legen. Zwei Sekunden später ertönte leises Schnarchen. Wie konnte sie jetzt schlafen? - fragte ich mich, bevor ich ebenfalls davon schlummerte.
Von heftigem Klopfen geweckt, fuhr ich erschrocken hoch. Misstrauisch lief ich zur Tür. Bevor ich sie öffnete, platzierte ich einen Stuhl davor und zog sie nur einen winzigen Spalt auf. So viel, um hindurch zu linsen. Ein Junge aus unserer Klasse wartete davor und sagte, dass er von Sophie die Anweisung erhalten habe, alle zu wecken, damit keiner verschlief. Ich bedankte mich, schloss die Tür und drehte mich zu Marie, die ebenfalls aus dem Bett gesprungen war und hinter mir stand.
>> Ich glaube, du hast mir was zu erklären. <<, sagte ich beißend. Ihr Blick wich aus und im Umdrehen antwortete sie:
>> Nicht jetzt, Fränni. Wir müssen packen. Daheim werde ich dir alle Fragen beantworten. << Wütend wollte ich protestieren, änderte meine Meinung sekundenschnell und nickte stumm. Sie hatte Recht.
Wir suchten unsere Sachen zusammen, und da ich gestern vorgearbeitet hatte, war ich die Erste die ins Bad ging. Nachdem ich geduscht und mich in einen ansehnlichen Zustand versetzt hatte, überließ ich Marie das Bad. Wir brachten unser Reisegepäck nach unten und gingen frühstücken.
Hochstimmung erfasste mich und ließ mich strahlen. Wie freute ich mich, nach Hause zu kommen und auch Marie war glücklich. Wir nahmen ein letztes Mal, Rührei und Schinken und setzten uns an unseren Tisch. Genüsslich verspeisten wir unser Frühstück und keine von uns beiden, erwähnte mit einem Wörtchen die vergangene Nacht.
Glücklich, endlich von hier fortzukommen, verließen wir den Speisesaal. Unser Gepäck war bereits im wartenden Bus verstaut. Wir stiegen ein, setzten uns auf eine Bank und lehnten die Köpfe zurück. Wie hatte ich diesen Tag herbeigesehnt … Ich nahm mir vor, erst Zuhause, diese Ausfahrt Revue passieren zu lassen und mich auf die Landschaft zu konzentrieren. Die Hinfahrt hatte ich ja verschlafen. Ob Aries schon zu Hause war? Ich freute mich auf ihn und auf meine Familie.
Als sich der Bus in Bewegung setzte, pustete ich geräuschvoll aus und strahlte Marie an. Die Zeit verging und endlich kam der Bus vor der Schule zum Stehen. Ich konnte es kaum erwarten nach Hause zu
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