Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)
einen bedeutenderen Platz ein als die Erörterung über die rein mathematischen Sachverhalte.
R ESÜMEE UND A USBLICK
Die unter dem Titel Metaphysik zusammengefassten Schriften suchen unter verschiedenen Aspekten das «Seiende, insofern es Seiendes ist» näher zu bestimmen. Diese Schriften sind stilistisch ganz unterschiedlich. Neben notizenhaften Partien stehen stilistisch ausgefeilte Passagen, neben trockener Argumentation eine kräftige Bildersprache. Das fünfte Buch fällt als reines Begriffslexikon ganz aus dem Rahmen einer diskursiven Darstellung. Einen ungewöhnlich großen Raum nimmt die teils ruhige, teils polemisch zugespitzte Auseinandersetzung mit den Lehren Anderer, insbesondere Platons, ein. Überall ist zu spüren, dass die Seinskonzeptionen Platons und seiner Schüler das Gehäuse vorgeben, in dem Aristoteles seine «erste Philosophie» ansiedelt.
Es sind im Wesentlichen vier sich vielfach überschneidende und überlagernde Teilbereiche: 1. eine allgemeine Ontologie, die das Seiende als Seiendes erfasst, indem sie alle Ausprägungen von Sein auf ihre Verknüpfungen hin untersucht; 2. eine Theologie, die die Seinsweise der obersten ewigen Substanz in ihrer Beziehung zur bewegten Welt untersucht; 3. eine Prinzipienwissenschaft, die sich als Untersuchung der Gründe und Prinzipien des Seins versteht; 4. eine Substanzlehre, die den Seinscharakter der verschiedenen Substanzstufen erforscht und dabei die platonische Trennung (Chorismos) der intelligiblen von der Sinnenwelt durch Stufung und Reihung zu überwinden sucht.
Die Argumentationsstruktur weist sowohl eine vertikale wie eine horizontale Dimension auf. In vertikaler Hinsicht ist es die ‹Identitätsrelation›, die ein Beziehungs- und Ordnungsgefüge des Seienden auf ein «erstes Seiendes» zurückführt, und in horizontaler Hinsicht ist es vor allem das Modell der Analogie, das in der Strukturierung des Seins Verknüpfungen verschiedener Glieder herstellt, so zwischen den Seinsaspekten Stoff und Form als Möglichkeit und Wirklichkeit. Hinzu kommen die weiter nicht ableitbaren vier Ursachen, die mit dem Strukturschema: Möglichkeit – Wirklichkeit in Einklang stehen, insofern der Stoff die Materialursache, das verwirklichte Sein die Formalursache, der den Formungsprozess des Stoffes einleitende Impuls die Wirkursache und der Richtungssinn der Verwirklichung des Möglichen die Finalursache darstellt. Alle Aspekte sind vereint in dem Grundsatz: «Das Sein wird auf vielfältige Weise ausgesagt.»
Selbstverständlich sind die einzelnen Lehrvorgänge des Aristoteles zur Ersten Philosophie in der Akademie und – soweit es sich um die späteren Fassungen handelt – im Peripatos sogleich diskutiert worden. Chronologisch wäre es durchaus möglich, dass schon Xenokrates auf Aristoteles geantwortet hat, doch lässt sich dies in den Fragmenten nicht klar belegen.[ 32 ] Das ist jedoch der Fall bei Theophrast, dessen Metaphysik [ 33 ] eine vorsichtige Kritik an der Lehre vom Ersten Beweger erkennen lässt. Der komplizierte Text, den man früher wohl wegen seines geringen Umfanges (ca. 20 Druckseiten, also eine kleinere Papyrusrolle) «metaphysisches Bruchstück» genannt hat, ist ein Zeugnis von Aporie und Skepsis. Viele Gedanken werden in Frageform vorgeführt; immer wieder finden sich Formulierungen wie: «Man muss das noch weiter untersuchen»; «vielleicht verhält es sich auch anders» usw. In der Ablehnung der platonischen Lehre von den Ideenzahlen ist Theophrast sich mit Aristoteles einig. Eine kritische Bezugnahme auf die aristotelische Lehre vom unbewegten Beweger kann man wohl in den Worten erkennen: «Das Erste und Göttlichste will sicherlich, dass alles am besten ist. Das aber dürfte wohl etwas zu weit gehen und kann nicht gefordert werden» (6 a 1–3). Ähnlich steht es mit dem Satz: «Die Frage nach der Anzahl der Sphären verlangt ausführlichere Erklärung ihrer Ursache, nicht jedoch von den Astrologen» (5 a 21–23).
Die skeptische Haltung Theophrasts mit ihrer grundsätzlichen Aporetik bildet den Übergang zu einem Verzicht auf jegliche Transzendenz im nachtheophrastischen Peripatos. Metaphysische Fragen waren kein Gegenstand des Interesses mehr.
Erst als das Werk des Aristoteles mit der Ausgabe des Andronikos von Rhodos bekannt war, kam es mit den ersten Metaphysik -Kommentaren (Alexander von Aphrodisias, ca. 200 n. Chr.) zu einer Erneuerung der Ersten Philosophie, die – vermischt mit dem Gedankengut des Neuplatonismus –
Weitere Kostenlose Bücher