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Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Titel: Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmut Flashar
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auf, also ob es nur ein oder mehrere Prinzipien gibt, ob eines oder mehrere veränderlich oder unveränderlich sind. Bei einem Prinzip, das unveränderlich ist und zugleich das ganze Sein umfasst (so bei Parmenides) unter dessen Annahme Bewegung generell geleugnet wird (Melissos), ist Naturwissenschaft überhaupt nicht möglich. Inkonsequenterweise setzt sich Aristoteles auch mit diesen Lehren auseinander, weil deren Prüfung «von philosophischem Interesse ist» (Phys. I 2, 185 a 20). So diskutiert er die Lehren von Parmenides, Melissos, dann die Auffassung der «Naturphilosophen» Anaximander, Anaxagoras und Empedokles.
    Aristoteles’ eigene Auffassung geht von einer Prinzipienpluralität aus. Alles Naturgeschehen, wie es sich im Horizont von Werden und Vergehen abspielt, setzt eine Pluralität von meist paarweise als Gegensätze auftretenden Prinzipien (Stoff – Form; Möglichkeit – Wirklichkeit usw.) voraus. Aristoteles arbeitet «mit einer Mehrheit von unverbundenen Prinzipiensystemen», weil es Aufgabe der Naturwissenschaft ist, eine gegebene Sache aus Prinzipien verständlich zu machen.[ 2 ] Prinzipien sind immer Prinzipien für etwas; sie können nicht mit der Sache, für die sie Prinzipien sind, zusammenfallen, wie es z.B. Parmenides angenommen hatte. Prinzipien sind auch nicht auseinander ableitbar und nicht auf ein Drittes zurückführbar. Wohl bedarf es aber eines Dritten, des «Zugrundeliegenden», an dem sich die als Gegensatzpaare konzipierten Prinzipien zeigen (Kap. 7). Schließlich grenzt Aristoteles seine Konzeption gegen die Prinzipienlehre Platons ab, auf den hier jedoch nicht mit namentlicher Nennung, sondern mit der typischen Form im ‹Plural des Zitats› («Andere meinen …») verwiesen wird.
    G RUNDBEGRIFFE DER N ATUR
    Der Hauptteil der aristotelischen Physik (Buch II–VII) enthält eine Analyse des Naturgeschehens im Lichte dieser Grundbegriffe.
    Der Naturbegriff selbst wird nicht bestimmt als allumfassender Inbegriff einer ‹Natur› im Ganzen, sondern zur Bezeichnung natürlicher Dinge in Abgrenzung gegen vom Menschen produzierte Artefakte.
Von allen seienden Dingen sind die einen von Natur aus, die anderen aus anderen Ursachen. Von Natur aus sind die Lebewesen und ihre Glieder, die Pflanzen und die Elementarkörper wie Erde, Feuer, Luft und Wasser, denn wir sagen, dass diese Dinge von Natur aus sind. All diese Dinge unterscheiden sich aber von den nicht natürlichen Gebilden. Von den Ersteren hat jedes in sich selbst das Prinzip von Bewegung und Beharrung, die einen hinsichtlich des Ortes, die anderen hinsichtlich Wachsen und Abnehmen, noch andere hinsichtlich qualitativer Veränderung (Phys. II 1, 192 b 8–15).
    Aristoteles geht also sogleich vom Charakter der Natürlichkeit des einzelnen Seienden (bzw. der Gattung) aus. Lebewesen können sich von sich aus im Raum bewegen, Pflanzen können wachsen und vergehen, natürliche Elemente können ihre Eigenschaften ändern; Wasser kann warm oder kalt werden. Dagegen stellt Aristoteles die von Menschen geschaffenen Produkte. Ein Bett, ein Mantel oder Ähnliches kann sich nicht von sich aus bewegen, wachsen usw. Oder umgekehrt: Lebewesen oder Elementarkörper werden nicht von Menschenhand geschaffen. Aristoteles begrenzt gegenüber dem den gesamten Kosmos umfassenden Naturbegriff der frühen Denker (der sogenannten Vorsokratiker) Natur und Natürlichkeit auf diejenige Sphäre des Seins, in der Bewegung und Veränderung stattfinden.[ 3 ] Im aristotelischen Werk wird das Wort «Natur»unter verschiedenen Aspekten untersucht[ 4 ], aber immer auf die sublunare Welt der Erscheinungen und Veränderungen bezogen.
    Die Physik des Aristoteles hat es nun aber nicht nur mit den «natürlichen Dingen» zu tun, sondern mit allen Körpern, ihren Zuständen, Bewegungen und deren Prinzipien, welche die Bedingungen und Modalitäten der Veränderung begründen. Hier kommen wieder die vier Hauptursachen (Material, Wesen, Bewegungsursache, Zweck) ins Spiel ( Physik II 3–9), die an verschiedenen Stellen des aristotelischen Werkes auftauchen (vgl. S. 213). Jede Bewegung und Veränderung vollzieht sich im Rahmen dieser vier Ursachen. Dabei meint die «Zweckursache», dass jede Bewegung und Veränderung zielgerichtet ist, sofern kein äußeres Hindernis vorliegt. Jede handwerkliche Produktion verfolgt ein Ziel; jedes Durchlaufen einer Strecke ist eine zielgerichtete Ortsbewegung. Dabei treten die vier Ursachen nicht zueinander in Konkurrenz, sondern

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