Arkadien 02 - Arkadien brennt
kaum zu verstehen, eine dumpfe Tonsuppe aus Sätzen, Gläserklirren und Hintergrundmusik.
Jetzt richtete sich die Kamera auf eine einzelne Person und verharrte dort. Rosa blickte in ihr eigenes Gesicht, glänzend von der Wärme im Raum. Sie trug Make-up. In einer Hand hielt sie ein Cocktailglas und eine Zigarette. Seit beinahe anderthalb Jahren rauchte und trank sie nicht mehr. Keinen Tropfen Alkohol seit jener Nacht.
Eine aufgekratzte Mädchenstimme fragte sie, wie es ihr gehe. Die Rosa im Film grinste und formte mit den Lippen ein Wort.
»Was?«, rief die Stimme.
»K – L – O«, buchstabierte Rosa. »Kommst du mit?«
Die Antwort war nicht zu hören, aber das Bild wackelte: Kopfschütteln. Rosa zuckte die Achseln, stellte ihr Glas auf einem Buffettisch ab und ging mit merklicher Schlagseite aus dem Bild. Sie hatte eine Menge getrunken an diesem Abend.
Der Bildausschnitt bewegte sich wieder. Gesichter wurden gestreift, auch mal länger fixiert, wenn es sich um männliche, gut aussehende handelte. Hin und wieder grinste jemand in die Kamera, mehrmals wurde die Besitzerin des Handys gegrüßt: »Hi, Valerie!« – »Wie geht’s?« – »Hey, Val!«
Valerie Paige. Rosa hatte seit Monaten nicht mehr an sie gedacht. Wie kam Trevini an eine Aufnahme, die Val während der Party im Village gefilmt hatte? Er musste erfahren haben, was damals geschehen war. Auch das noch.
Valerie blieb abermals stehen. Ein paarmal zoomte sie vor und zurück – noch mehr Gesichter, die meisten pixelig bis zurUnkenntlichkeit. Dann konzentrierte sie sich auf eine Gruppe junger Männer in einer Ecke des Raumes.
Fünf oder sechs Jungs, die sich unterhielten, drei mit dem Rücken zur Kamera. Einer winkte in Valeries Richtung und pfiff ihr anerkennend zu. Rosa hatte ihn noch nie gesehen. Val zoomte wieder nach vorn. Aus dem Off rief sie »Hey, Mark!«. Da drehten sich auch die anderen zu ihr um. Einer blickte genau in die Kamera und lächelte.
Das Bild fror ein. Der Ton brach ab.
Die Statusleiste zeigte an, dass die Datei noch nicht am Ende war, aber der Rest war mit dem Standbild dieses einen Gesichts gefüllt. Mit diesem stummen, versteinerten Lächeln.
Zitternd zog Rosa das Fenster größer, bis die Züge des Jungen aus bräunlichen Quadern bestanden. Sie verkleinerte es wieder, jetzt bis zum Minimum.
Das hätte sie sich sparen können. Sie hatte Alessandro erkannt, noch bevor er sich umdrehte. An der Bewegung selbst. Am widerspenstigen Haar.
Mit einem Fluch sank sie gegen die Lehne der Parkbank. Über den Rand des Laptops hinweg starrte unbewegt der Bronzepanther herüber, oben auf seinem Fels vor einem Hintergrund knochiger Zweige.
Alessandro war dort gewesen. In der Nacht, als es passiert war. In jener Wohnung im Village, die Rosa weder davor noch danach wieder betreten hatte.
Sein Haar war kürzer als heute; Internatsschnitt, hatte er das einmal genannt. Die anderen, die bei ihm standen, hatten ganz ähnliche Frisuren.
Er war, verdammt noch mal, dort gewesen .
Und er hatte es nie auch nur mit einem Wort erwähnt.
Valerie
E s war ein Trick. Eine Lüge. Irgendeine perverse List, um sie zu verunsichern und abzulenken, damit sie keine der Alcantara-Geschäfte verpfuschte, mit denen Trevini sein Geld verdiente.
Im Grunde war es leicht zu durchschauen. Er wollte sie aus der Fassung bringen und dadurch formbar machen, beeinflussbar. Die meisten Menschen glaubten, die Mafia räumte alle, die ihr im Weg standen, mit einer Maschinenpistole aus dem Weg. Das war Unsinn. Es gab viele andere Möglichkeiten, und der Avvocato Trevini kannte sie alle. Wer seit Jahrzehnten für die Cosa Nostra arbeitete, Mörder verteidigte, Schwerverbrecher aus dem Gefängnis boxte und Staatsanwälte in Misskredit brachte, wer alle Führungswechsel und sogar die blutigen Straßenkriege früherer Jahre unbeschadet überstanden hatte, der wusste Bescheid.
Eine Videoaufnahme ließ sich fälschen. Wie schwer konnte es sein, ein Gesicht durch ein anderes zu ersetzen? Trevini musste damit rechnen, dass sie ihm nicht traute. Dass sie selbstverständlich eher Alessandro als ihm glauben würde. Alles, was sie zu tun hatte, war, Alessandro anzurufen und ihn zu fragen. Dann würde der ganze Schwindel auffliegen.
Und dennoch hatte Trevini ihr das Video geschickt.
Sie zog das Handy aus der Tasche und wählte zum zweiten Mal an diesem Nachmittag Alessandros Nummer. Das Freizeichen kam ihr lauter und schriller vor. Wieder die Mailbox.
Auf dem Monitor des
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