Arkadien 02 - Arkadien brennt
befreien.
»Das alles geht viele Jahrhunderte zurück«, sagte er hilflos. » Tabula Smaragdina Hermetis – das sagt Ihnen gewiss nichts, oder?«
»Ist das Latein?«
»Ja. Und viel mehr als das: Worte aus der Sprache der Alchimie.«
Sie zischte leise und Trevinis Augen weiteten sich unmerklich. »Versuchen Sie nicht, mich reinzulegen«, sagte sie.
»Sie wollen Zusammenhänge. Also hören Sie zu. Hier geht es nicht um irgendwelche Kapuzengestalten, die über Ofenfeuern sprudelnde Tränke zusammenbrauen. Alchimie ist gleichermaßen Philosophie wie Wissenschaft. Heute mehr Wissenschaft als irgendetwas anderes. Und die Tabula Smaragdina Hermetis ist ihr Anbeginn, ihre Wurzel, die verschlüsselte Wahrheit des Dreimalgrößten. Die legendäre Smaragdtafel des Hermes Trismegistos.«
Vielleicht sollte sie ihn wirklich Di Santis überlassen und sich um wichtigere Dinge kümmern.
»Die Alchimie ist die Mutter der Wissenschaft«, sagte er und schien die Stufen des Beckens mit einem Auditorium zu verwechseln. »Wenn TABULA heute Experimente mit Arkadiern anstellt, dann bezieht sie sich dabei auf den Vater der Alchimie – auf eben jenen Hermes Trismegistos. Niemand weiß, wer er wirklich war. Ich habe viel über ihn gelesen, und sein Name taucht unverhofft in den sonderbarsten Quellen auf.Manche sagen, er saß als König auf dem Thron von Theben, andere behaupten, dass er ein Gott der Hirten im antiken Griechenland war. Oder ein direkter Sohn Adams. Dann wieder gibt es die Ansicht, dass er überhaupt niemals existiert hat und der Name lediglich ein Pseudonym ist, unter dem eine ganze Gruppe Gelehrter ihre Schriften verfasst hat. Es heißt, Hermes Trismegistos habe mehr als fünfunddreißigtausend Bücher geschrieben.«
»TABULA«, flüsterte sie scharf. »Das ist das Einzige, was mich interessiert.«
»Sogar die Ungeduld haben Sie von Ihrer Großmutter geerbt.« Trevini brachte ein dünnes Lächeln zu Stande, aber der Schrecken in seinen Augen wollte nicht weichen. »Angeblich wurde die Smaragdtafel des Hermes um dreihundert vor Christus in einer Höhle entdeckt. Schriftlich erwähnt worden ist sie erst viel später, die erste lateinische Übersetzung stammt aus dem Mittelalter. In welcher Sprache sie ursprünglich verfasst worden ist, weiß keiner – Griechisch oder Arabisch vielleicht.«
»Was steht drauf?«
»Die einen sagen, es sind Orakeltexte, die anderen bezeichnen sie als eine Anleitung. Fünfzehn Verse sind es insgesamt, über den Anbeginn des Universums bis zum Schlüssel für das ewige Leben. Das Untere ist gleich dem Oberen und das Obere gleich dem Unteren . Oder: Du wirst das Licht der ganzen Welt besitzen, und alle Finsternis wird von dir weichen . Und schließlich: Darum werde ich Hermes Trismegistos genannt, denn ich besitze die drei Teile der Weisheit der ganzen Welt .«
Trevini redete jetzt wie im Delirium, obwohl er auf Rosa nach wie vor einen wachen, wenn auch aufgewühlten Eindruck machte. Doch was auch immer seine Worte bedeuten mochten, sie verrieten ihr, dass sich der Avvocato viel intensiver mit den Geheimnissen um TABULA beschäftigt hatte, als er bislang zugegeben hatte. Er kannte die Sprüche der verdammten Tafel auswendig .
»Und Sie glauben, die Organisation leitet ihren Namen von dieser Smaragdtafel ab?«, fragte sie.
»Tabula Smaragdina Hermetis« , sagte er zum dritten Mal.
»Aber wer steckt dahinter? Wer sind diese Leute?«
»Forscher aus aller Welt. Biochemiker, Gentechniker, Anthropologen – wer weiß? Sie müssen über uneingeschränkte Geldmittel verfügen, und sie glauben, dass für sie keine Gesetze gelten.«
»Sie wissen, wonach das klingt, oder?«
Er stieß verächtlich die Luft aus. »Die Mafia ist etwas ganz anderes. Sie hat ihre Ziele nie verheimlicht: Ihr ging und geht es immer nur um Macht und Geld. Aber TABULA? Warum missbrauchen sie Arkadier für geheime Versuche? Weshalb wissen die überhaupt von den Dynastien?« Trevini schüttelte langsam den Kopf. »Wer ihre Spuren weiter verfolgt, der stößt unweigerlich auf eine Mauer. Ob Bibliotheken oder das Internet – weit kommt man nie.«
»Keine Verbindung zu den Arkadischen Dynastien?«
»Ein paar vage Hinweise, sonst nichts.«
Es gelang ihr, die innere Kälte im Zaum zu halten, solange ihre Gefühle übertönt wurden von dem, was er da sagte. Sie hätte es als Unsinn abgelehnt, dummes Zeug, das nichts mit ihr oder Alessandro zu tun hatte. Aber lagen nicht noch weitere Antworten in der Antike verborgen?
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