Arkadien 02 - Arkadien brennt
Moment lang abgelenkt, konnte sich nicht entscheiden, ob sie Iole erneut packen, auf sie schießen oder sie einfach ignorieren sollte.
Und Rosa sprang vorwärts.
Die Mündung schwenkte wieder in ihre Richtung.
Iole trat Valerie vom Boden aus mit aller Kraft in die Kniekehle. Mit einem Aufschrei verlor Val das Gleichgewicht, drückte ab, aber der Schuss ging meterweit fehl und schlug in die Decke. Stuck explodierte in einer weißen Kalkwolke.
Zornig und zugleich hilflos in ihrer Wut überlegte sie einen Sekundenbruchteil zu lang, auf wen sie nun schießen sollte.
Im selben Moment stürzte Rosa sich auf sie. Beide brüllten auf wie die Raubkatzen und Hundinga unten im Haus. Iole rollte zur Seite, bekam einen Fußtritt in den Bauch und krümmte sich schmerzerfüllt zusammen. Rosa ließ sich auf Valerie fallen, die sich unter ihr so dürr wie ein Haufen Zweige anfühlte. Kreischend wehrte sich das geschwächte Mädchen, schlug und trat und kratzte wie eine Tollwütige. Rosa musste ihre Augen schützen, stieß zugleich ein Knie in Valeries Unterleib, rollte zur Seite, riss sie mit sich und zog sie wieder unter sich.
Die Pistole war längst aus Valeries Fingern geglitten. Rosa wusste nicht, wo sie hingefallen war, und ihr blieb keine Zeit, sich umzuschauen. Sie hatte genug damit zu tun, Vals Fingern und Fäusten auszuweichen und zugleich zu versuchen, sie zu bändigen und mit Knien und Händen auf den Boden zu pressen.
Noch einmal drohte Valerie die Oberhand zu gewinnen, sie wälzten sich herum, sekundenlang kam Rosa unter ihr zu liegen, dann stemmte sie sich gegen Val und warf sie mit einem Schrei zur Seite. Vals Schulter und Kopf krachten gegen den steinernen Rundbogen. Rosa zerrte sie herum, warf sie auf den Bauch und ließ sich mit den Knien auf sie fallen. Etwas knackte unter ihr, die Rippen. Von hinten griff sie in Vals Haar, hämmerte ihr Gesicht auf den Steinboden und bemerkte, wie ihre Gegnerin erschlaffte.
Etwas berührte Rosa an der Schulter.
Mit einem Keuchen riss sie den Kopf herum und war auf das Schlimmste gefasst. Den Schlag einer Leopardenpranke. Ein aufgerissenes, fangzahnbewehrtes Maul.
Mit Unschuldsblick hielt Iole ihr die Pistole entgegen, der Griff zeigte in Rosas Richtung.
»Hier«, sagte sie, »und jetzt erschieß sie endlich.«
In Flammen
R osa starrte unschlüssig die Pistole an. Sie hockte auf Valeries Rücken, keuchend, die Augen aufgerissen, das Haar zerzaust. Jetzt hatte sie die Möglichkeit, Rache zu nehmen für alles, was sie in den vergangenen anderthalb Jahren durchgemacht hatte. Die Vergewaltigung. Die Abtreibung. All die Monate in Trauer und Therapie.
Das alles hatte sie Valerie zu verdanken.
Und Val lag benommen unter ihr am Boden.
Rosa nahm die Pistole aus Ioles Hand. Der Griff fühlte sich kühl und schwer an.
»Sie hat’s verdient«, stellte Iole fest, ganz sachlich.
»Ich weiß«, flüsterte Rosa.
Sie setzte die Mündung in die Kuhle über Valeries Genick, in die kleine Vertiefung zwischen Wirbelsäule und Hinterkopf. Ihr Zeigefinger lag am Abzug. Das schmale Stück Metall schien ungeduldig gegen ihre Fingerkuppe zu pochen, als wollte es ihr die Entscheidung abnehmen.
Valerie stöhnte leise.
Rosa drückte die Waffe noch fester an Vals Nacken. Es fühlte sich richtig an abzudrücken. Es war angemessen, ihr alles heimzuzahlen.
Das Heulen der Hundinga unten im Haus wurde wilder, Wut und Schmerz klangen aus ihren Stimmen. Dazwischen das Fauchen der Raubkatzen. Wäre die Vorstellung nicht so abwegig gewesen, hätte man den Eindruck haben können, die beiden Panthera kämpften gemeinsam gegen die Kreaturen des Hungrigen Mannes.
Rosa senkte den Blick wieder auf Valeries Kopf und die Pistolenmündung. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass Ioledurch den Rundbogen lief, hinaus auf den langen Korridor. Sie war barfuß, ihre nackten Beine sahen blass und verletzlich aus unter dem Saum des langen Shirts.
»Worauf wartest du?«, fragte Valerie stockend. Falls wirklich Rippen gebrochen waren, musste sie starke Schmerzen haben. Sie hatte den Kopf auf die Seite gedreht, ihr kurzes dunkles Haar war strähnig von Schweiß. Eine Schürfwunde auf ihrem Wangenknochen verriet, wo sie gegen den Steinbogen geprallt war. Ihre Lippen bewegten sich. Aber es kam kein weiterer Ton heraus.
Rosa konzentrierte sich ganz auf die Waffe in ihrer Hand, die Berührung des aufgerauten Griffs, das Gewicht, das Gefühl der Macht, die sie ihr verlieh.
Aber sie wollte keine Macht. Und je länger
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