Arkadien 02 - Arkadien brennt
wert. Die Wahrheit ist: Ich habe nicht die geringste Ahnung, was meine Großmutter oder mein Vater all die Jahre über getrieben haben.«
»Und du glaubst, dass dich das von aller Schuld befreit? Denn darum geht es dir doch, nicht wahr?«
»Ich war nicht mal geboren, als Trevini und meine Großmutter Sie ins Gefängnis gebracht haben. Selbst mein Vater war damals noch ein Kind.«
»Hat dir der junge Carnevare Glück gebracht?«
»Glück ist relativ.«
»Unsinn!«, fuhr er auf, wurde aber gleich wieder ruhig. »Glück ist das Gegenteil von Pech. Von Unglück. Also, sag mir, Rosa: Hat Alessandro Carnevare dir Glück gebracht?«
»Ich bin glücklich, wenn ich bei ihm bin.«
»Immer?«
»Oft.«
»Vieles ist geschehen, seit ihr zusammen seid. Nicht nur Gutes.«
Im Schoß ballte sie eine Hand zur Faust. »Dass der Palazzo bis auf die Grundmauern abgebrannt ist, ist für mich kein Unglück. Und der Tod meiner Tante war ihre eigene Schuld, schätze ich.«
»Wie sieht es mit dem Tod deiner Schwester aus?«
»Zoe hat mich belogen. Sie hat mich ausspioniert, in Florindas Auftrag.«
»Zweifellos Gründe, ihr den Tod zu wünschen«, bemerkte er sarkastisch.
Er reizte sie und es machte sie wütend, dass sie so leicht zu manipulieren war. »Ich habe Zoe gerngehabt, trotz all ihrer Fehler. Sehr gern sogar.«
»Damit kommen wir der Sache schon näher.«
»Zoes Tod war nicht Alessandros Schuld.«
»Aber du siehst eine Verbindung. Natürlich siehst du die. Du müsstest blind sein, wäre es anders.«
Sie stand auf und trat ganz nah an die Scheibe, bis ihre Nasenspitze fast das Glas berührte. »Können wir die Psychospielchen nicht überspringen?«
Die Silhouette im Dunkeln kam näher. Die Entfernung zwischen ihnen betrug nicht einmal mehr eine Handbreit, und dennoch konnte sie durch das getönte Glas sein Gesicht nicht sehen. Dass seine Stimme aus dem Lautsprecher auf Höhe ihres Bauchnabels kam, irritierte sie außerdem.
»Hast du eine Ahnung«, fragte er, »wie deine Großmutter gestorben ist?«
»Im Bett. Sie war krank, wohl schon eine ganze Weile lang.«
»Florinda hat sie vergiftet.«
»Und wennschon.«
»Du hast Costanzas Augen.«
»Und gerade dachte ich noch, wir könnten Freunde werden.«
»Sie hat dir überhaupt sehr ähnlich gesehen, als sie jung war. Sie war ein hübsches Mädchen und später eine sehr schöne Frau.«
Im Grunde war sie dankbar dafür, dass er sie zornig machte. Das machte es einfacher, nicht allzu beeindruckt zu sein von der Überlegenheit, die er ausstrahlte. »Warum wollten Sie, dass ich herkomme?«, fragte sie, um das Gerede über Costanza zu beenden. »Am Telefon haben Sie gesagt, dass das eine Ihrer Bedingungen ist. Jetzt bin ich hier. Wieso?«
»Weil ich sehen wollte, wer du bist. Was du bist.« Mit einem dumpfen Laut hieb er seine Handfläche an die Scheibe und presste sie mit gespreizten Fingern dagegen. Sie schimmerte hell vor der Finsternis. »Wie lange ist es her«, fragte er, »dass du von den Arkadischen Dynastien erfahren hast?«
»Ein paar Monate.« Sie konnte nicht anders, als seine Hand anzustarren, die tief eingefurchten Linien, die langen, schlanken Finger.
»Deine Mutter hat es dir verschwiegen?«
»Ich hätte sie für eine Irre gehalten, wenn sie’s mir gesagt hätte.« Während sie das aussprach, musste sie sich eingestehen, dass Gemma Recht gehabt hatte. Womöglich nicht nur damit.
»Wie war es, als du dich zum ersten Mal verwandelt hast?«
»Es hat sich … verboten angefühlt. Wie wenn man als Kind zum ersten Mal bis spätnachts aufbleibt, weil niemand zu Hause ist.«
»Ist es nicht eine Schande, dass wir etwas so Wundervolles vor der Welt verstecken müssen?«
»Nicht so wundervoll für die Welt.«
»Es hat immer Jäger und Gejagte gegeben. Die einen, die ihren Willen durchsetzen, weil sie die nötige Stärke besitzen.Und die anderen, die vor ihnen niederknien. Keine Zivilisation, kein Fortschritt wird daran etwas ändern. Nicht wir haben diese Gesetze aufgestellt, sondern das Leben selbst. Das, wofür ich stehe, ist kein Rückschritt. Es ist das Ende unserer Selbstverleugnung. Das Ende der großen Lüge.«
Es fiel ihr zunehmend schwerer, sich seinem Charisma zu entziehen. Das Labyrinth der Linien in seiner Hand, die Eindringlichkeit seiner Stimme – als stünde man vor einem uralten Tempel, der auch nach Jahrtausenden noch Ehrfurcht gebot.
»Wir haben lange genug im Verborgenen gelebt und vor anderen verheimlicht, was wir in Wahrheit
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