Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Arkadien 02 - Arkadien brennt

Titel: Arkadien 02 - Arkadien brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Block fragen müssen, ehe sie sie gefunden hatten. An jenem Abend hätte es Valerie fast erwischt. Aber eine Woche später saß sie erneut vor ihrer Webcam und war wieder im Rennen – mit dem höchsten Punktestand seit Gründung der Queens. Ihre zufriedene Miene zeigte allen, dass sie den Sinn ihres Lebens in der Erwartung des Todes gefunden hatte.
    Rosa hatte sich nur ein einziges Mal aktiv am Wettbewerb beteiligt. Sie hatte tagelang gegoogelt und alles gelesen, was sie über Selbstmord durch Schlafmittel hatte finden können. Seiten um Seiten um Seiten, bis es der Sache beinahe die morbide Romantik genommen hatte.
    Sie war nicht einmal eingeschlafen, als der Rettungswagen vor ihrer Haustür auftauchte. Die Einzige, die noch weniger Punkte bekommen hatte als sie, war eine Punkerin aus Jersey, die behauptete, Aspirin habe dieselbe Wirkung wie Zopiclone, und ihnen weismachen wollte, sie sei nach der fünften Tablette ins Koma gefallen. Rosa hatte auf weitere Teilnahmen verzichtet.
    Eine Woche später traf sie Valerie im Club Exit an der Greenpoint Avenue. Valerie sprach sie an, so fröhlich und ungezwungen, als hätten sie sich beim Shoppen kennengelernt; Val trug ein T-Shirt mit dem Schriftzug Dein Hardcore ist meinMainstream . Niemals hätte Rosa sie von sich aus erkannt. Die verzerrte Perspektive der Webcam, die Pixel, das schlechte Licht hatten ihr etwas Gespenstisches gegeben, das dem Titel einer Suicide Queen alle Ehre machte. In natura aber war Valerie ein blasser Teenager wie Rosa selbst, mit einem schwarzen Pagenschnitt, der sie wie einen Stummfilmstar der Zwanzigerjahre aussehen ließ. Sie war mager wie Rosa, geschminkt wie Rosa, und bei ihrer zweiten Begegnung im Three Kings war klar, dass sie in vielem auch dachte wie Rosa. Nach einem halben Dutzend Treffen, einige zufällig, andere geplant, gestand sie, dass ihre Auftritte bei den Suicide Queens getürkt waren. Die Pillen – Magnesiumtabletten. Der Bourbon – Apfelsaft. Die Sanitäter – Freunde aus dem Apartment ein Stockwerk über ihr.
    Rosa war so fasziniert wie enttäuscht: »Was ist mit dem Ehrenkodex der Queens?«
    Valerie starrte sie entgeistert an. »Aber das sind Freaks !«, entfuhr es ihr, und damit war die Sache erledigt.
    Letztlich überwog Rosas Bewunderung für die Kaltschnäuzigkeit, mit der Valerie einen Haufen lebensmüder Vollidioten an der Nase herumführte – einschließlich Rosa selbst. Während der Chats fraßen ihr die anderen aus der Hand und widersprachen keiner ihrer absurden Thesen über das Leben nach dem Tod.
    Für Valerie war alles nur ein großer Spaß, offline lachte sie bitterböse über die anderen Queens, und Rosa fühlte sich geschmeichelt, weil dieses sonderbare Mädchen ihr Vertrauen schenkte. Natürlich würde sie mit niemandem darüber reden, nur ein einziges Mal musste sie das versprechen und danach nie wieder. Sie war in Valeries engen Kreis aufgenommen, und dieser enge Kreis bestand aus – Valerie und Rosa. Zum ersten Mal seit Zoes Abreise nach Italien fühlte sie sich ernst genommen und von jemandem akzeptiert. Ihre Schwester hatte, bei allenUnterschieden, ein Vakuum hinterlassen, das Valerie mit ihrem bizarren Charme und Charisma füllte.
    Fortan tanzten sie gemeinsam durch die Clubs von Bushwick bis Brighton Beach, rauchten Dope unter der Brooklyn Bridge und suchten nach Wegen, um Valeries Triumph bei den Suicide Queens zu toppen. Zweimal die Woche kellnerte Valerie in einem Club in Manhattans Meatpacking District, aber sie weigerte sich, Rosa dorthin mitzunehmen. Für sie sei das Arbeit, kein Vergnügen. Rosa respektierte das.
    Valerie hatte ein Auge für attraktive Jungs, aber sie tat niemals mehr, als mit ihnen zu trinken und Gras zu rauchen. Für sie war alles Theater, alles Illusion, ihr Treiben bei den Suicide Queens genauso wie ihr Umgang mit Männern. Und auch Rosa war sich nie ganz sicher, ob sie jemals die wahre Valerie kennengelernt oder nur eine Maskerade zu sehen bekommen hatte.
    Die Halloweenparty im Village war eine von Tausenden, die an diesem Abend in New York stattfanden, und es hätte auf jeder von ihnen passieren können. Die Betäubungstropfen in Rosas Cocktail, die Unbekannten, die sie missbrauchten – nur ein Zufall, dass es gerade sie getroffen hatte. Wahrscheinlich gab es in derselben Nacht einige Dutzend solcher Fälle. Sie war nichts Besonderes – daran ließ die Polizei keinen Zweifel. Sie hatte getrunken, sie trug einen kurzen Rock. Das reichte aus, um ihre

Weitere Kostenlose Bücher