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Arkadien 02 - Arkadien brennt

Titel: Arkadien 02 - Arkadien brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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das vertraute fremde Gefühl willkommen wie einen Freund.
    »In diesem Haus, eine der Wohnungen … Sie gehörte Gaettano. Das ist –«
    »Tano?« Sie stolperte einen Schritt zurück und stieß gegen einen der Tische voller Modellboote. » Dem Tano?«
    »Er ist oft hier gewesen, Michele und er waren gute Freunde. Vor einigen Tagen ist Micheles jüngerer Bruder erschossen worden, aber das hat ihn nicht halb so sehr getroffen wie Tanos Tod vor ein paar Monaten. Carmine, sein Bruder, war ein Schwein, selbst in Micheles Augen, und noch dazu eine wandelnde Koksleiche. In Kolumbien weinen mehr Leute um ihn als hier in New York. Aber als Tano starb, da war das für Michele –«
    »Ich bin dabei gewesen.«
    Er nickte. »Michele sagt, du bist schuld an seinem Tod.«
    »Ich wünschte, ich wär’s.« Sie fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. Nach so langer Zeit fühlte sie sich auf einen Schlag wieder schmutzig und erniedrigt, als wäre die Vergewaltigung erst gestern geschehen.
    Tano. Und Michele.
    Wieder musste sie sich abstützen. »Sind das alle?«
    »Alle, von denen ich weiß.« Ihm war merklich unwohl, und das lag nicht allein an den Scheinwerfern, die sich am Seeufer näherten. »Es müssen noch andere dabei gewesen sein, wahrscheinlich zwei oder drei von denen, die jetzt da draußen auf uns warten.«
    Sie schloss die Augen, spürte dem Atem nach, wie er in ihre Lunge strömte und wieder hinaus. Jedes Mal, wenn sie die Luft ausstieß, stieg da etwas anderes mit herauf, langsam, als müsste es sich erst aus ihrem Inneren an die Oberfläche graben. Kälte, die nichts mit dem Winter zu tun hatte, breitete sich in ihrem Brustkorb aus, überrollte die Reste des Serums in ihrem Blut wie eine Woge aus Quecksilber.
    »Was willst du von mir?«, fragte sie ihn.
    »Falls Valerie doch in Europa ist, dann wird sie bei dir auftauchen, früher oder später.«
    »Sie hat mich mit zu dieser Party geschleppt, Mattia. Wenn sie weiß, was dort passiert ist und dass Michele darin verwickelt ist –«
    »Sie war diejenige, die mir davon erzählt hat, gleich am nächsten Tag. Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe.«
    Schuppen bildeten sich auf ihren Handrücken. Sie fühlten sich an wie Härchen, die in einem eiskalten Luftzug aufrecht standen. »Wenn ich sie sehe, bring ich sie um.«
    »Aber sie kann nichts dafür! Sie hat’s mir geschworen. Siehat erst später in der Nacht davon erfahren, als Michele ihr völlig zugekokst davon erzählt hat. Das hat sie aus der Bahn geworfen, und sie kam zu mir, um –«
    »Oh, na klar«, fiel sie ihm eisig ins Wort. »Bestimmt ging es ihr richtig mies. Weil ich vergewaltigt worden bin. Von ihrem Freund!«
    Das Motorengeräusch des Wagens, der sich durch den Schnee kämpfte, wurde lauter. Aber Mattia war so verzweifelt bemüht, Valerie in Schutz zu nehmen, dass er den Lärm nicht beachtete.
    »Es war nicht ihre Schuld«, entgegnete er. »Sie hat gesagt, dass sie mit dir sprechen will. Sie wollte dich um Verzeihung bitten.«
    Verzeihung. Rosa wollte ihn auslachen für seine dumme, blinde Liebe zu diesem Mädchen, aber dann dachte sie daran, wie sie selbst in ihren Bann geraten war. Valerie besaß eine Ausstrahlung, die es ihr leicht machte, andere zu becircen.
    »Was erwartest du von mir?«, fragte sie. »Dass ich so tue, als wäre nichts geschehen?«
    »Wenn du sie siehst, dann sag ihr, dass ich auf sie warte«, bat er sie eindringlich. »Dass sie immer zu mir zurückkommen kann, egal, was sie getan hat. Du bist die einzige Hoffnung, die mir noch bleibt. Wenn Valerie lebt, dann wird sie zu dir kommen und dich um Entschuldigung bitten. Das hat sie gesagt, damals.«
    Rosa dachte an das Video, und sie fragte sich, ob Valerie nicht längst Kontakt zu ihr aufgenommen hatte. Sie verstand nur nicht, auf welche Weise Trevini in die Sache verstrickt war.
    Der Wagen hielt am Rand der Terrasse. Seine Scheinwerfer leuchteten zum Fenster herein und warfen die Schlagschatten der Segelboote an die Rückwand des Raums als Reihen schwarzer Zähne.
    Rosas Haut bewegte sich unter ihrer Kleidung. Schuppenverhakten sich in Stofffasern, rieben aneinander wie die Oberflächen von Klettverschlüssen. Ihre Zunge spaltete sich im Mund zu zwei Spitzen, aber das geschah so selbstverständlich, dass sie es erst bemerkte, als sie zum Sprechen ansetzte.
    Eine Sekunde lang überlegte sie noch, ob er ihr das alles mit Absicht gerade jetzt erzählt hatte, um genau diese Reaktion zu provozieren – den einen Moment,

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