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Arkadien 02 - Arkadien brennt

Titel: Arkadien 02 - Arkadien brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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allein einsetzte.
    Außer Atem passierten sie die Statue eines Mannes, der mit einem aufgeschlagenen Buch im Schoß auf einer Bank saß; eine Ente aus Bronze blickte vom Boden zu ihm auf. Davor erstreckte sich am Ufer eines Sees eine asphaltierte Promenade. Das Eis auf dem Wasser schimmerte silbrig. Im Schein der Lampen am gegenüberliegenden Ufer sah Rosa ein einzelnes Gebäude, eingeschossig, mit einem hellgrünen Dach, das an ein Zirkuszelt erinnerte. Darauf erhob sich eine hohe Spitze wie auf einem Kirchturm.
    »Conservatory Water«, rief Mattia atemlos. »Wenn wir es bis zur anderen Seite schaffen …«
    Er sagte nicht, was genau dann geschähe, aber sie nahm an, dass er die Hochhäuser an der Fifth Avenue meinte, deren erleuchtete Fenster sich vor dem Nachthimmel abzeichneten, jenseits des Gebäudes mit dem grünen Dach und einer Reihe kahler Baumkronen.
    »Wenn wir um den See laufen, schaffen wir es nie«, brachte sie stöhnend hervor. Die Kälte begann zu schmerzen, und sobald sie seine nackte Haut ansah, wurde es noch schlimmer. Warum nahm er das auf sich?
    Rosa wollte über die Promenade auf das Eis laufen, um den See zu überqueren, aber Mattia hielt sie zurück.
    »Nein, nicht! Der See wird tagsüber enteist, damit die Segelboote darauf fahren können. Die Eisschicht ist viel zu dünn.«
    Segelboote? Auf diesem Teich? Aber sie hielt sich nicht mit Diskussionen auf, riss sich erneut von ihm los und rannte am Ufer entlang nach Norden. Als sie über die Schulter sah, entdeckte sie dunkle Punkte auf der verschneiten Wiese zwischen den Bäumen, mindestens ein Dutzend, vielleicht mehr. Einige von ihnen trugen etwas im Maul, das sie aufhielt; nach ihnen richtete sich die Geschwindigkeit des gesamten Rudels, so als trauten die anderen ihnen nicht genug, um sie mit der Beute zurückzulassen. Vier menschliche Körper, aufgeteilt auf zu viele Raubkatzen.
    Rosa bekam jetzt kaum noch Luft vor Anstrengung. Der Frost drang in ihre Lunge, ihre Kehle fühlte sich an, als hätte sie Glassplitter verschluckt.
    Noch ein Ensemble von Bronzestatuen, am oberen Ende des Sees: Alice im Wunderland, der verrückte Hutmacher und das weiße Kaninchen.
    Auch Mattia wurde langsamer, die Kälte begann ihn zu lähmen.
    »Verwandle dich«, rief Rosa ihm zu. Selbst ihre Stimme klang jetzt wie zerstoßenes Eis.
    »Sie können uns sehen«, gab er kopfschüttelnd zurück. »Sie dürfen nicht wissen, dass ich einer von ihnen bin.«
    »Du bist nackt!«, fuhr sie ihn an. »Was sollen sie wohl denken? Dass ich unterwegs einen Sittenstrolch aufgegabelt habe?«
    Er fluchte – und wurde zum Panther. Die Verwandlung geschah so schnell, dass Rosa ihr kaum mit den Augen folgen konnte. Torso und Glieder verformten sich im Sprung, Fell floss wie schwarzes Öl über seine Haut. Im nächsten Augenblick rannte er auf allen vieren vor ihr her. Einen Moment lang wurde sie fast überwältigt von Neid. Er war höchstens drei Jahre älter als sie, und dennoch beherrschte er die Transformation perfekt. Für ihn war sie eine Gabe. Für Rosa bislang nur ein Fluch.
    Mit letzter Kraft folgte sie ihm auf eine Aussichtsterrasse, die sich vor dem Ziegelgebäude mit dem grünen Giebel bis zum See erstreckte. Sie hatte erwartet, dass sie am Haus vorbei unter die Bäume dahinter laufen würden; die Fifth Avenue war nur noch einen Steinwurf entfernt, sie konnte den nächtlichen Straßenverkehr so deutlich hören, als stünde sie am Bordstein. Eine Polizeisirene heulte in Richtung Süden vorüber und verschmolz mit dem Lärm der Upper East Side.
    Der Panther aber jagte auf den Eingang des Gebäudes zu, und da begriff sie, dass er hineinwollte. Noch einmal blickte sie zurück. Die Panthera waren keine vierzig Meter hinter ihnen. Ein riesenhafter Leopard in der Mitte trug einen menschlichen Körper zwischen den Kiefern, als besäße der nicht mehr Gewicht als ein Hase.
    Jessys dünne Beine schleiften auf der einen Seite des Mauls über den Boden, ihr Haar auf der anderen. Die Arme federten bei jedem Schritt der Raubkatze auf und ab. Der Leopard trug sie mit erhobenem Haupt als Trophäe seines Sieges. Voller Stolz, voller Hohn.
    »Michele«, flüsterte Rosa hasserfüllt.
    Als sie sich wieder dem Haus zuwandte, stand Mattia in Menschengestalt vor dem Eingang, winkte sie mit einer erschöpften Geste heran – und stieß die graue Metalltür mit der anderen Hand nach innen. Im Schloss steckte ein Schlüssel.
    »Ich arbeite hier«, presste er ächzend hervor. »Deshalb.«
    Die

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