Arkadien 02 - Arkadien brennt
dort drüben klirrten Schlüssel. Der Zugang wurde wieder geschlossen, dann raschelte seine Kleidung, als er sie abstreifte.
Nackt erschien er wenig später auf dem oberen Felsenring. Die Blicke der Wächterkatzen folgten ihm, aber keines der Tiere verließ seinen Platz. Ein Leopard, der ihm am nächsten saß, schnurrte leise.
Sicheren Schrittes stieg Alessandro über die Felsen nach unten. Rosa kaute auf ihrer Unterlippe, stellte aber fest, dass sie keine Angst empfand. Das Vertrauen, das er vorhin von ihr erbeten hatte, erfüllte sie jetzt durch und durch.
Der Lichtschein vom Vorplatz tauchte seinen Körper in Bronze. Seine Muskulatur bewegte sich geschmeidig unter seiner Haut, nur am Rücken wurde sie vom Schwarz des Pantherfells überdeckt. Der Pelz breitete sich nicht weiter aus. Alessandro hatte die Verwandlung unter Kontrolle.
Er brauchte nicht zu klettern; die Felsstufen waren in einer weiten Spirale angelegt, der er geduldig abwärts folgte. Rosa beobachtete jeden Schritt, jede sanfte Wölbung seines Körpers an den Oberarmen und Schenkeln, seiner Brust, den scharf definierten Muskeln seiner Bauchdecke. Einmal, nur einmal, blickte er zu ihr herüber und schenkte ihr ein Lächeln. Lass das, dachte sie. Konzentrier dich.
Unten am Wasser hoben mehrere Tiere die Köpfe und witterten ihn. Ein Löwe knurrte leise, aber es klang nicht aggressiv, eher als wollte er die übrigen Angehörigen seines Rudels beruhigen. Erstmals fiel ihr auf, dass dort unten Raubkatzen aller Art eng beieinanderlagen. Tiger neben Löwen, Geparden neben Panthern. Warum gab es keine Konkurrenz zwischen ihnen? Kein Dominanzgehabe?
Sie dachte an die Schlangen, die im Glashaus des Palazzo Alcantara lebten. Sie war nur ein paarmal dort gewesen und hatte den Ort nie wieder so intensiv erlebt wie bei ihrem erstenBesuch. Auch dort existierten die unterschiedlichsten Schlangenarten auf engem Raum. Boas und Pythons, Nattern und Ottern und Vipern. Hochgiftige Kobras neben Blindschleichen.
Alessandro erreichte das Ufer des kleinen Sees. Auf der gegenüberliegenden Seite lag das Rudel. Ohne zu zögern, ging er am Wasser entlang darauf zu.
Die Raubkatzen erhoben sich. Erst nur wenige, dann auch alle übrigen, in einer einzigen, schattenhaften Woge.
Er trat mitten unter sie.
Der Rudelführer erwartete ihn am Ende einer Schneise, die die anderen für ihn bildeten. Dort standen sich die beiden gegenüber, als wären sie einander ebenbürtig. So als besäße der Löwe nicht die Kraft, sein Gegenüber in Sekundenschnelle zu zerreißen.
Lange sahen sie einander an. Das Rudel umstand sie regungslos. Rosa legte die Hände ans Gitter, schob das Gesicht zwischen die eiskalten Stangen. Gebannt blickte sie in die Tiefe.
Alessandro verwandelte sich. Nicht explosionsartig wie Mattia im Central Park, sondern in einem fließenden, eleganten Übergang von einer Gestalt zur anderen. Dem Wandel wohnte nichts Widernatürliches inne, nichts Beängstigendes. Aus dem einen Körper entstand ein anderer, und im Übergang lag eine Schönheit, die ihr die Tränen in die Augen trieb.
Alessandro sank nach vorn, jetzt ganz und gar Panther. Er und der Löwe überbrückten die letzte Distanz und senkten die Köpfe, als wollten sie geflüsterte Worte wechseln.
Nach einer Weile lösten sie sich voneinander. Alessandro richtete sich auf, stellte sich auf die Hinterbeine, wurde wieder zum Menschen. Er wandte Rosa das Gesicht zu, und selbst in der Dunkelheit sah sie ihn lächeln. Ruhig hob er den Arm, um sie heranzuwinken. Sie wollte den Kopf schütteln, wollte zurückweichen, aber da begriff sie, dass sie längst auf der anderenSeite des Gitters war, hindurchgeglitten in ihrer Schlangengestalt, ohne die Verwandlung überhaupt wahrzunehmen.
Der Löwe stieß ein Brüllen aus. Ein Tiger oben auf den Felsen hielt inne und ließ Rosa passieren.
Alessandro kam ihr entgegen, verließ den Pulk der Katzen und trat an den Fuß der Felsen. Fellflecken huschten über seinen Körper wie elektrische Entladungen, zuckten über seine Arme, seine Schenkel, bedeckten seine Hüften und entblößten sie wieder.
Als bernsteinfarbener Strom floss Rosa die Felsen hinab. Sie erreichte ihn, schlängelte sich an ihm empor, ringelte sich um seine Glieder, streichelte mit ihrer Schuppenhaut seine Muskulatur, sein Haar, seinen ganzen Körper. In ihrer Umarmung wurde er wieder zum Panther, und die Sinnlichkeit dieser Bewegung erfüllte sie mit eisiger Ekstase.
Der Avvocato
D ie Sonne hing gleißend
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