Arkadien 02 - Arkadien brennt
»Sie können sich nicht mehr an diese Nacht erinnern, nicht wahr?«
»Sie kennen die Polizeiunterlagen. Also wissen Sie Bescheid.«
»Ich kenne weit mehr als nur die Unterlagen.«
»Wie meinen Sie das?«
Er räusperte sich. »Sie erinnern sich an das Video, das ich Ihnen geschickt habe?« Er machte eine Pause, als erwartete er tatsächlich eine Antwort darauf. »Nun, es gibt noch ein zweites. Als wir Ihre Freundin geschnappt haben, hatte sie noch ein weiteres Mobiltelefon dabei. Sie hat es offenbar Michele Carnevare gestohlen, bevor sie sich nach Europa abgesetzt hat. Und auch darauf befand sich eine Videodatei.«
Einen Moment lang bekam sie kaum Luft.
»Ich wollte es Ihnen ersparen«, sagte er. »Glauben Sie mir, das wollte ich wirklich.«
»Wollen Sie damit sagen … er hat es gefilmt?«
»Es tut mir leid.«
Sie wusste nicht, was schlimmer war: dass ein Video von ihrer Vergewaltigung existierte – oder dass Trevini es angeschaut hatte. Kälte flutete mit irrwitziger Geschwindigkeit durch ihren Körper.
Unter größter Konzentration gelang es ihr zu sprechen. Es klang, als redete ein anderer für sie, wie eine Bauchrednerpuppe. »Schicken Sie es her«, sagte sie und brauchte dafür eine halbe Ewigkeit. »Ich will es sehen.«
»Warum wollen Sie sich dem aussetzen?«
»Um zu erfahren, was Sie gesehen haben.«
»Hier geht es nicht um unsere Meinungsverschiedenheiten, Rosa. Ich glaube nicht, dass es gut für Sie wäre, wenn Sie –«
»Schicken Sie das Handy her. Am besten gleich alle beide.«
»Wenn Sie darauf bestehen.« Er schien ihr Gelegenheit geben zu wollen, ihre Meinung noch einmal zu ändern. Als sie es nicht tat, sagte er: »Und wie soll ich nun mit dem Mädchen verfahren?«
»Sie kann gehen.« Rosas Stimmbänder drohten zu gefrieren, doch auf eine Weise, die sie selbst nicht verstand, hielt sie die Verwandlung im Zaum. »Ich will Val nie wieder sehen. Setzen Sie sie in ein Taxi zum Flughafen. Am besten gleich in eine Maschine, nach Rom oder New York oder wohin auch immer sie will.«
»Ich sorge dafür, dass sie verschwindet.«
»Niemand krümmt ihr ein Haar. Das ist kein Auftrag, sie umzubringen.«
»Das habe ich sehr wohl verstanden.« Seine Stimme klang jetzt mechanisch.
»Geben Sie ihr etwas Geld, so dass es für ein, zwei Wochen reicht. Stellen Sie’s mir in Rechnung.«
»Ich hoffe wirklich, sie wird das zu schätzen wissen.«
»Hauptsache, sie ist fort.«
»Und Sie glauben, das wird Ihr Gewissen beruhigen?«
»Sie verstehen das nicht. Hier geht’s nicht um mein Gewissen.«
»Nicht?«
»Wenn ich dieses Video sehe«, sagte sie leise, »dann könnte es sein, dass ich’s mir noch anders überlege.«
»Sie wollen sie beschützen? Vor Ihnen selbst, Rosa?« Er lachte leise. »Verantwortung also. Sie wollen keine Entscheidung treffen müssen, die Ihnen später leidtut.«
»Vielleicht würde sie mir gar nicht leidtun. Vielleicht würde ich plötzlich merken, dass es mir gefällt , solche Entscheidungen zu treffen.« Die Macht über Leben und Tod. Die Macht ihrer Vorfahren.
»Bisher dachte ich, Sie laufen nur vor sich selbst davon«, sagte er sanft. »Aber in Wahrheit fliehen Sie vor Costanzas Schatten.«
Sie schwieg, bis er irgendwann den Hörer auflegte.
Lykaons Fluch
M attia ist tot«, sagte Alessandro am Abend, bevor Rosa auch nur ein Wort über ihr Gespräch mit Trevini verlieren konnte.
In ihrer Hand dampfte ein doppelter Espresso, nicht ihr erster heute, und ihr ganzer Körper fühlte sich an, als krabbelten Tiere unter der Haut.
Sie standen auf der Panoramaterrasse des Palazzo Alcantara und blickten über die Olivenhaine nach Westen. Die Blätter der hohen Palmen, die vor dem Steingeländer in den Himmel ragten, raschelten in der Dunkelheit. Leise blubberte die Pumpe des Swimmingpools, der Schein der Unterwasserlampen tauchte einen Teil der Westfassade in wabernde Helligkeit. Die milde Abendluft war erfüllt vom Gesang der Zikaden.
»Sie haben gestern seine Leiche gefunden«, sagte Alessandro. »Verbrannt, auf einer Müllhalde.«
»In Crown Heights.«
»Du weißt davon?«
»Trevini hat angerufen. Er hat’s mir erzählt.«
Er nickte langsam. »Und natürlich hat er versucht, es mir in die Schuhe zu schieben.«
Rosa trank die Tasse in einem Zug leer und stellte sie auf der Brüstung ab. »Hat er Recht? Hast du damit zu tun?«
»Das hast du mich schon mal gefragt. Und ich hab dir eine Antwort gegeben.«
»War das die Wahrheit?«
»Glaubst du Trevini mehr als
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