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Arkadien 02 - Arkadien brennt

Titel: Arkadien 02 - Arkadien brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Der Dreck aus Costanzas Grabinschrift würde sie jetzt erst recht davon abhalten.
    Sie zog ihre Finger zurück, packte die Spitzhacke wieder mit beiden Händen und drehte sich zum Innenraum um.
    Iole beobachtete sie erwartungsvoll. Signora Falchis Blick hinter den Brillengläsern wirkte besorgt und zugleich auf makabre Weise fasziniert. »Signorina«, begann sie vorsichtig.
    »Behalten Sie’s für sich«, gab Rosa zurück.
    »Aber –«
    »Nicht jetzt.«
    Mit drei, vier Schritten ging Rosa zum Grab ihres Vaters hinüber. Es befand sich wie das von Costanza in der mittleren Reihe. Das darunter war unbeschriftet, die Buchstaben an dem darüber ausgeblichen. Seltsamerweise hatte sich dort kein Staub festgesetzt. Als zöge Costanza allein allen Schmutz dieses Ortes an.
    Rosa atmete tief durch und holte aus. Mit einem ohrenbetäubenden Krachen hieb sie die Spitzhacke in die Grabplatte ihres Vaters.
    »Signorina!«
    Schritte hinter ihr. Klappernde Absätze.
    Rosa schlug ein zweites Mal zu. Ein fingerdicker Riss zog sich als schwarzer Blitz über die Oberfläche.
    »Signorina Alcantara, ich bitte Sie –«
    Sie wirbelte herum und stieß ein Fauchen aus, das die Lehrerin zurückzucken ließ. Rosa spürte, wie sich ihre Zunge hinter den Zähnen spaltete, aber sie achtete darauf, den Mund nicht zu öffnen, während sie die Frau mit einem finsteren Blickin die Flucht schlug. Signora Falchi eilte zurück zu Iole und stellte sich schützend vor das Mädchen, als fürchtete sie allen Ernstes, Rosa könnte mit der Spitzhacke auf sie losgehen.
    Aber Rosa hieb nur ein drittes Mal gegen die Grabplatte. Ein graues Dreieck brach unterhalb der Inschrift aus dem Stein. Sie musste noch mehrmals zuschlagen, ehe die Platte vollends zerbrach. Die Reste polterten zu Boden, nur ein paar Splitter blieben im offenen Fach liegen.
    Sie konnte das Fußende eines Sarges sehen, dem die vergangenen elf Jahre nichts hatten anhaben können. Ein goldfarbener Griff schimmerte im Dunkel.
    Plötzlich war Iole neben ihr. »Komm, ich helf dir«, sagte sie leise.
    Rosa nickte dankbar, lehnte die Hacke gegen die Wand und packte die eine Seite des breiten Metallgriffs; er war eiskalt. Iole ergriff die andere Hälfte, und während die Lehrerin stumm im Hintergrund stand, zogen sie den Sarg mit vereinten Kräften Stück für Stück nach vorn, bis das untere Ende einen halben Meter weit aus dem Wandfach ragte.
    »Das reicht«, sagte Rosa.
    Iole nickte und trat einen Schritt zurück.
    Aus dem Augenwinkel sah Rosa, wie sich Signora Falchi neben der Tür am Boden niederließ. Im ersten Moment fürchtete sie, die Lehrerin könnte in Ohnmacht fallen, aber der Eindruck täuschte. Stattdessen runzelte die Frau die Stirn, lehnte sich im Sitzen gegen die Mauer und zog die Knie an. »Ich kann es ja eh nicht ändern«, sagte sie seufzend. »Wenn Sie gestatten, warte ich hier, bis es vorbei ist.«
    Schwitzend hob Rosa die Spitzhacke. Dreimal hieb sie auf den Eichendeckel des Sarges, bis ein kopfgroßes Loch im Holz klaffte und die Hacke bis zum Anschlag darin stecken blieb. Mit einem Keuchen zog sie das Werkzeug heraus, ließ es fallen und beugte sich über das Loch.
    »Wollen wir hoffen«, bemerkte Signora Falchi auf der anderen Seite der Kapelle, »dass dies wirklich das Fußende ist.«
    Rosa spähte über den gesplitterten Rand der Öffnung. Ioles Hand tastete nach ihrer und hielt sie fest.
    »Spielt keine Rolle«, sagte sie nach einem Moment, zog den Oberkörper zurück und straffte sich mit einem tiefen Durchatmen.
    Iole sah sie an, dann blickte auch sie ins Innere des Sarges.
    »Oh«, flüsterte sie.
    Rosa drückte noch einmal ihre Finger, dann ließ sie los. Sie ging hinaus ins Freie, blieb stehen und sog die frische Luft ein. Es roch nach den Pinien oben im Hang, nach Gras und dem salzigen Wind, der vom fernen Meer über die Hügel heranwehte.
    Hinter ihr in der Kapelle klapperten die Schritte der Lehrerin, als auch sie einen Blick in den Sarg warf.
    Iole trat aus dem Portal. Ein Stück hinter Rosa blieb sie stehen.
    »Wo ist er?«, fragte sie.
    Rosa zuckte die Achseln und ging stumm zurück ins Haus.

Das weiße Telefon
    R osa stand am gusseisernen Balkon des Arbeitszimmers und blickte über den Innenhof und die Dächer hinauf zur Bergkuppe, als das Telefon klingelte.
    Es war nicht der Apparat auf dem Schreibtisch. Dieses Klingeln glich keinem anderen, das sie bislang im Palazzo gehört hatte.
    Es erklang dumpf, kaum hörbar, aus der Wandtäfelung an der Westseite

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