Armageddon 05 - Die Besessenen
der nun als Kantine der Gemeinschaft diente. Der gewaltige Raum erstreckte sich über drei Stockwerke und besaß eine hölzerne Decke, die von kunstvoll geschnitzten Sparren getragen wurde. Kronleuchter hingen an starken Ketten herab; ihre Lichtgloben waren inoperativ, doch sie reflektierten ausreichend Himmelslicht von draußen, um die prachtvollen Fresken irdischer Waldlandschaften zu erleuchten, die jeden Zwischenraum zwischen zwei Fenstern ausfüllten. Ein dicker blau und cremefarben gemusterter chinesischer Teppich erstickte das Geräusch von Lucas Stiefeln, als er zum Büfett ging und sich aus einem eisernen Rechaud Rührei auf einen Teller schaufelte.
Der Teller war an den Rändern abgesplittert, das silberne Besteck angelaufen und die Politur der großen zentralen Tafel verschrammt und stumpf. Er nickte seinen Gefährten zu, als er sich setzte, und unterdrückte jede Kritik. Konzentriere dich auf die Prioritäten, sagte er sich. Das Gut funktioniert wieder, wenn auch auf einem primitiven Level, und das ist es, was zählt. Das Essen war einfach, doch angemessen, zwar nicht rationalisiert, aber sorgfältig kontrolliert. Sie alle hatten zu einem mehr zivilisierten Verhalten zurückgefunden.
Nach Quinn Dexters Verschwinden hatten die neuen Bewohner von Cricklade Manor die verhaßten Lehren der Sekte, die das Monster ihnen aufgezwungen hatte, mit Freuden über Bord geworfen und sich für eine ganze Weile Orgien und grenzenloser Völlerei hingegeben. Es war eine Reaktion auf das Jenseits; sie hatten sich absichtlich in einen vollkommenen Sinnesrausch gestürzt. Nichts spielte eine Rolle außer Fühlen und Schmecken und Riechen. Luca hatte sich durch die ausgiebigen Küchenvorräte des Herrenhauses gefressen und gesoffen und mit zahllosen phantastisch aussehenden Frauen geschlafen, hatte sich auf absurd gefährliche Spiele eingelassen und die Nicht-Besessenen verfolgt und gejagt. Und irgendwann war mit schmerzhafter Langsamkeit der Morgen danach gekommen und hatte die Last der Verantwortung und bis zu einem gewissen Ausmaß sogar ein Gefühl für Schicklichkeit mit sich gebracht.
Es war an dem Tag gewesen, an dem aus der Dusche im Badezimmer reines Abwasser gekommen war, als Luca angefangen hatte, Gleichgesinnte um sich zu versammeln und Cricklade Manor in einen funktionierenden Zustand zurückzuversetzen. Reine hedonistische Anarchie, so hatte sich herausgestellt, war kein Zustand, der sich auf längere Zeit aufrechterhalten ließ.
Luca sah Susannah durch die Tür kommen, die in die Küche führte. Plötzlich wurden seine Bewegungen extrem vorsichtig. Sie trug eine Schüssel mit frischen gedünsteten Tomaten, die sie laut auf dem Büfett absetzte.
Genau wie Luca sich zur Aufgabe gemacht hatte, die landwirtschaftliche Seite des Gutes wieder ans Laufen zu bringen, so hatte Susannah sich des Hauses selbst angenommen. Sie leistete gute Arbeit, indem sie die Leute mit Essen versorgte und das Haus in einem halbwegs vernünftigen Zustand hielt (auch wenn es nicht mit den alten Tagen zu vergleichen war). Passend dazu war Susannah die Possessorin von Marjorie Kavanaghs Körper. Es hatte nur wenig Raum für physische Verbesserungen gegeben; Susannah hatte sich ein Jahrzehnt jünger gemacht und das lange unpraktische Haar der Landbesitzerkaste beträchtlich gekürzt, doch ihre grundlegende Figur und die Gesichtszüge waren die gleichen geblieben.
Susannah nahm die leere Schüssel auf und marschierte damit zurück zur Küche. Ihre Blicke begegneten sich, und sie schenkte ihm ein verwirrtes Lächeln, bevor sie in der Tür verschwand.
Luca schluckte das Ei in seinem Mund hastig herunter, bevor es ihm im Hals steckenbleiben konnte. Er hatte so viel von diesem Augenblick erwartet. So viel sagen wollen. Und ihre besorgten Gedanken hatten im Gleichklang geschwungen. Sie wußte, was er wußte, und er wußte …
Lächerlich!
Wohl kaum. Sie ist eine von uns.
Lächerlich, weil Susannah einen Partner gefunden hatte, Austin, und offensichtlich glücklich mit ihm war. Und ich habe Lucy. Weil es gut ist mit ihr. Weil sie guten Sex macht. Nicht aus Liebe.
Luca gabelte den Rest von seinem Rührei auf und spülte es mit ein wenig Tee hinunter. Ungeduld breitete sich in ihm aus. Ich muß hier raus. Ich muß diese verdammten Faulenzer ans Arbeiten bringen.
Er entdeckte Johan am anderen Ende der Tafel mit einer einzelnen Scheibe Toast und einem Glas Orangensaft, seinem ganzen Frühstück. »Bist du soweit?« fragte er kurz
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