Armageddon 1 - Das Musical
für ihn, aber das hier war viel mehr. Live-
Hologramme? Das war unmöglich, jedenfalls hatte es das immer gehei-
ßen. Er drehte am Entfernungsregler, und das Bild gewann an Schärfe.
Es fokussierte und breitete sich weiter und weiter aus. Durch Wände,
über zerstörte Straßen, in feuchte Bunker, durch weitere Wände hin-
durch. Weiter und weiter. Rex drehte den Apparillo im Kreis. Das Bild
blieb beständig vor ihm, doch die Außenwelt raste hindurch. Am Hori-
zont erschien der Nemesis-Bunker, eine gewaltige Betonpyramide, deren
Spitze in der niedrigen Wolkendecke verschwand. Rex richtete den Ap-
parillo nach oben und zoomte die Spitze heran. Das schweifende Auge,
das seine Informationen aus Blättern und Flechten und Moosen bezog,
penetrierte die äußere Verteidigung des Bunkers. Durchdrang die Heiz-
leitungen und inneren Abtrennungen, durchquerte das Studio… und
drang in das innere Heiligtum des Dalai Lama ein.
»Es gibt sogar einen Lautstärkeregler«, sagte Elvis und deutete auf den
Knopf. Rex betätigte ihn.
›… it’s down at the end of lonely street at Heartbreak Hotel.‹
»Heilige Scheiße!« kreischte Presley. »Das ist eine von meinen Platten!
Dieser Hurensohn spielt meine Musik! Hör dir das an, Freund! Bin ich
der King oder bin ich der King, eh? Oder was?«
»Aber… aber das ist klassische Musik! Ich hab’ diese Musik auf dem
Schulkanal gehört, als ich ein Kind war! Onkel Tom hat diese Musik
geliebt! Aber diese Platte ist mindestens…«
»Ist mindestens?«
»Mindestens hundert Jahre alt!«
»Ziemlich genau. Vierundneunzig Jahre, ganz genau. Aufgenommen in
Nashville, Tennessee. Scotty Moore an der Gitarre, Bill Black am
Zupfbaß. Meine erste Nummer Eins Single. Meine erste Goldene!« Elvis
sang mit sich selbst.
Rex’ Unterkiefer sank herab. Nur ein einziger Mann in der Geschichte
hatte eine derartige Stimme besessen! Und Rex stand nun vor genau e-
ben diesem Burschen.
Die Bedingungen hatten sich soeben geändert. Wie der Spruch so
schön heißt: Dieser Mann war der echte Lieutenant McCoy.
»Dann sind Sie… sind Sie…« Rex Stimme wurde unsicher, wankte, er-
starb beinahe. »… sind Sie…«
»Bin ich, Freund.«
»Ian Paisley!« ächzte Rex, indem er aus diesem Witz den letzten Rest
von Leben quetschte.
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… Sicher hab’ ich von den Aufnahmen gehört. Weil es schließlich mein Job war, eine Sammlung wie diese. Musos Traum. Die Gerüchte besagten, er hätte sie al e. Und sämtliche Bootlegs noch dazu. Und Auskopplungen. Overdubs.
Hintergrundbänder. Zehn Jahre, komplett, so erzählten sich die Leute. Ich re-de jetzt von 1970, wissen Sie, als al es hochgegangen ist. Ein Bekannter von mir berichtete, Er wäre dort gewesen. Der Gott. Es war eine große Explosion.
Die Kneipenfenster sind rausgeflogen. Ich hatte überal Schnitte von Glassplit-tern. Sehen Sie diese Narbe? Und die hier? Man erzählt sich, das FBI hätte dahintergesteckt oder sogar die CIA, aber wer weiß das schon? Jedenfal s gibt es eine ganze Menge Theorien, und jeder mag glauben, was er wil Der Gott wurde getötet, der Gott wurde nicht getötet, die Aufnahmen sind bei der Explosion vernichtet worden, die Aufnahmen haben die Explosion überstanden, was auch immer. Das Merkwürdigste, was ich gehört habe, war, daß die gesamte Sammlung eine Art von Computerprogramm gewesen sein soll. Klingt
ziemlich bescheuert, ich weiß, aber überlegen Sie mal. Wenn man den gesamten musikalischen Ausstoß einer Generation nimmt, jede einzelne Platte, was hat man dann? Vielleicht eine Art Seele oder so. Die Seele einer Generation. Ich meine, sie steckt schließlich in der Musik, oder nicht? Wir al e wissen, daß sie in der Musik steckt, irgendwo, oder nicht? Wer jemals richtig hingehört hat, der weiß einfach, daß die Seele in der Musik steckt. Irgendwo.
Das Sub-Urbane Buch der Toten
Rex zoomte in das Schlafzimmer seiner Schwester. Sie beschäftigte sich
mit ihrem zweitliebsten Zeitvertreib. Der liebste war nach Rex’ fester
Überzeugung die Verfolgung ihres Bruders.
»Stellen Sie das scharf, Freund«, keuchte Elvis. »Heiliger Herrgott, sieh
sich einer diese Mieze an!«
»Ich hab’ Sie in meinem Geschichtskurs gehabt, wissen Sie?« sagte Rex.
»Meine Tante…« Er verstummte einen Augenblick in trauriger Erinne-
rung. »Meine Tante gehörte eine Zeitlang zu den Fundamentalisten, zu
den Hubbards. Als Hubbard der Dritte mit der Gospelkirche von Ame-
rika zusammenging, wann immer das
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