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Arminius

Arminius

Titel: Arminius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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Knabe in der Finsternis und dazu noch im dichten Unterholz des Waldes gute Aussichten, dass sein tollkühnes Unterfangen gelang.
    Obwohl Tiberius’ Augen bei Tage schlecht sahen, waren sie seltsamerweise in der Nacht allen anderen überlegen. Nichts entging ihm, wenn sich die Dunkelheit auf die Welt gelegt hatte.
    Eigentlich ritten oder marschierten die Legionäre nur im Hellen und errichteten bei Einbruch der Dämmerung ein kleines Lager, stellten Wachen auf und schliefen, um am nächsten Morgen die Reise fortzusetzen. Schließlich befanden sie sich in der Fremde, die sie nur ungenügend kannten und die bis vor wenigen Stunden noch Feindesland gewesen war. Zwar hatte Tiberius mit den Fürsten der Marser, der Chatten, der Chauken, der Cherusker, der Brukterer, Bataver und Friesen, mit den Barbaren, die jenseits des Rhenus siedelten, einen Friedensvertrag ausgehandelt, doch es gab wahrlich keinen Grund, Leuten zu trauen, die weder lesen noch schreiben konnten und wohl auch nicht zu ermessen vermochten, was ein Vertrag bedeutete.
    Sein abgrundtiefes Misstrauen fand Ausdruck in einem einfachen Satz: Sie waren keine Römer. Sie verstanden weder etwas vom Recht noch von der Leitung eines Staates, kannten weder Städte noch öffentliche Bäder, keine Kriegstechnik noch Schrift oder Gesetz. Sie hausten auf vereinzelt stehenden Gehöften am Waldesrand wie das Vieh, mit dem sie sogar unter einem Dach lebten. Ohne Sitte und Moral, ohne das, was die Römer mores nannten. Wenn er dem Chatten, der leidlich Latein radebrechte, glauben durfte, gab es nicht einmal ein germanisches Wort für die mores, den Urgrund des römischen Daseins. Tiberius empfand nur Verachtung für diese groben Menschen, mehr noch, sie erzeugten in ihm einen unüberwindlichen Ekel.
    Mit einem Blick erkannt er, dass es zwecklos war, sich zu Pferd tiefer in den Wald zu begeben, denn gewiss hatte sich der Bengel im dichten Unterholz versteckt. Deshalb befahl Tiberius seinen Legionären, eine Kette zu bilden und zu Fuß den Forst zu durchkämmen. Eigentlich konnte der Junge nicht weit kommen, wenn man nur keine der von Sträuchern bedeckten Senken übersah.
    »Gibt es hier giftige Schlangen?«, fragte ein Reiter.
    »Still! Verlasst euch auf eure Ohren!«, fuhr Tiberius ihn an. Wind spielte mit den Wipfeln der großen Eichen und Buchen. Der Geruch von feuchtem Laub und Pilzen stieg ihm in die Nase und betörte seine Sinne. Doch die Feuchtigkeit, die in seine Knochen kroch, verscheuchte den wohligen Moment. Er sehnte sich nach einem heißen Bad. Nach der Wärme. Nach dem Süden. Keinesfalls danach, im kalten und unwirtlichen Germanien einem aufsässigen Kind nachzujagen! Trübsinnig beobachtete der Feldherr seine Leute. Wie tölpelhaft ihm diese kampfgestählten Kerle auf einmal vorkamen, wie sie da ungelenk zwischen Brombeersträuchern und Farnen umherstapften.
    Plötzlich schoss ihm eine kurze Spiegelung des Mondlichts aus einem Gebüsch ins Auge, das die Legionäre bereits überprüft hatten. Vorsichtig schlich er dorthin, drückte das Gesträuch zur Seite und entdeckte Ergimer, der, am Boden der winzigen Grube kauernd, Eldas Amulett in den Händen hielt, von dem er stumm Schutz erfleht und das ihn nun durch den Reflex verraten hatte. Der Blick des Feldherrn fiel auf die heftig pochende Halsschlagader des Knaben. Wie ein flüchtender Hase, dachte er, der dadurch den Hunden zu entgehen sucht, dass er sich in einem Erdloch versteckt.
    Ihre Blicke kreuzten sich. Das Kind hielt dem finsteren Blick des Römers stand und ließ das Amulett wieder unter seinem Hemd verschwinden. Tiberius erkannte Angst in den Augen des kleinen Ausreißers, was ihn nicht weiter verwunderte, doch gleich darauf entdeckte er auch Trotz, der von einem schlichten Stolz herrührte. Blut tropfte von der Stirn des Knaben. Er musste sich beim Sturz vom Pferd verletzt haben.
    Der Germanenbengel begann den Feldherrn allmählich zu beeindrucken. Er rührte eine Seite in seinem Inneren an. Tiberius nahm zwar den Hass in den Augen des Kindes wahr, verstand aber auch die Einsamkeit im Blick der kleinen Geisel, weil sie der seinen glich. Die Schwermut seines Wesens, das hatte er inzwischen verstanden, stammte aus seiner Kindheit. Das Einzige, woran er sich in den oft verzweifelten Tagen seiner frühen Jahre hatte halten können, war diese abgrundtiefe Traurigkeit gewesen. Sie hatte ihn aufgenommen und beschützt. Doch sie forderte ihren Preis, der darin bestand, dass sie ihn bis zu seinem letzten Tag

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