Arminius
wenige wie einen Gott verehrten. Welchem germanischen Kind war jemals diese hohe Ehre zuteilgeworden?
Arminius und die beiden anderen hatten Mühe, mit dem vorauseilenden Lehrer Schritt zu halten. Sie hasteten vorbei an den wartenden Legionären. Die Mittagssonne nahm derweil sanft in der Landschaft Platz. Als Arminius fast die Bahre mit dem toten Feldherrn erreicht hatte, riss ihn plötzlich jemand am Kragen zurück.
»Halt. Es ziemt sich für uns nicht, bei dem Toten und seinen Verwandten zu stehen«, raunte ihm Salvianus zu. Vor der Bahre warteten Tiberius, Antonia und Julius. Mit unbewegten Mienen schauten sie auf den Hügel, der sich vor ihnen erhob. Das Gras rechts und links neben der Via Aemilia hatte die Sonne gelb gebrannt. Noch war es voll und stark, dachte Arminius, und ist doch bereits dem Tod geweiht. Aber er wusste, dass alles, was jetzt starb, im Frühjahr wieder kommen würde, so Nerthus wollte. Deshalb opferten die Cherusker der Göttin Rinder und Dinkel – manchmal auch gefangene Feinde.
Das Wunder der Welt aber erschien zu Fuß. Ein Mann, etwas kleiner als Tiberius, mit einem eher gewöhnlichen Äußeren, ungepflegt, bärtig, die Haare struppig, bekleidet mit einer einfachen Tunika und einer weißen Toga schritt seelenruhig allein vom Hügel herab wie ein gewöhnlicher Kaufmann, den die Geschäfte in die Fremde führten. Und dennoch ging von dieser alltäglichen Erscheinung eine überlegene Ausstrahlung aus. Dieser Mann besaß eine so wichtige und außergewöhnliche Persönlichkeit, dass er es sich erlauben durfte, höchst einfach aufzutreten. Im Gegenteil, die stilsicher in Szene gesetzte Schlichtheit erhöhte nur seine Autorität.
Arminius erkannte, was Tiberius gemeint hatte, als er davon gesprochen hatte, jemand sei zum Herrschen geboren. Dieser Mann dort, der wie ein einfacher Kaufmann auf der abschüssigen Straße ausschritt, war eigens allein zum Regieren auf die Welt gekommen. Als Augustus den halben Weg zwischen der Hügelkuppe und dem Leichnam des Drusus zurückgelegt hatte, setzte sich – in deutlichem Abstand zu ihm – auch seine Prätorianerkohorte in Bewegung, seine persönliche Schutzgarde, die eine Sänfte mitführte.
Als sich der Kaiser näherte, legten Tiberius, Antonia und Julius ihre rechte Faust aufs Herz und senkten ehrerbietig den Kopf. Doch Augustus kam mit ausgebreiteten Armen und einem Blick, in dem Mitgefühl, Anteilnahme und abgrundtiefe Traurigkeit miteinander wetteiferten, auf sie zu. »Nicht doch, nicht doch!«, rief er. »Ihr seid die Trauernden. Euch gebühren Trost und Ehrerbietung, nicht mir! Habt ihr doch den Leichnam auf euren Händen aus dem kalten Germanien in die Heimat getragen. Und obschon das alles richtig ist, verzeiht mir, empfinde ich die weit größere Trauer, denn mir verbleibt der schlimme Dienst, den Verlust Roms, den Schmerz des Senates und das Leid des Volkes auf mich zu nehmen. Und wahrlich, welch größeres Missgeschick kann ein großes Volk treffen, als seinen besten Feldherrn zu verlieren!«
Obwohl Arminius’ Lateinkenntnisse bereits ausreichten, um den Princeps zu verstehen, begriff er doch nicht den Sinn der Ansprache. Aber sie faszinierte ihn, denn tief in seinem Innern spürte der wache Knabe, dass die Rede des Kaisers weniger dem ähnelte, was ein Mann dem anderen mitzuteilen hatte, sondern mehr dem Vortrag eines cheruskischen Sängers. Die Worte richtete Augustus nicht an den Einzelnen, sondern an die ganze Welt. In den Augen des Kaisers standen Tränen. Noch nie hatte Arminius einen Mann weinen sehen. Das galt bei den Germanen als weibisch, und doch minderten die Tränen des Augustus zu seinem Erstaunen nicht die Würde des Herrschers. Denn in seiner Trauer erkannte der Junge instinktiv auch eine gefährliche Drohung.
»Der Ehemann ist dir, meine teure Nichte, genommen worden, und dir, mein lieber Tiberius, der Bruder. Und dir …«, der Princeps beugte sich zu Julius hinunter und zog ihn an sich, »mein lieber Junge, der Vater. Nichts kann diesen Verlust ersetzen. Rom aber wurde ein kräftiger Schwertarm abgehauen. Schmerz ist deshalb in meinem Herzen. Selbst die Götter sind voller Gram. Erfüllen wir unsere traurige Pflicht. Lasst uns heute den Feldherrn heimbringen.«
Augustus sprach nicht sehr laut, dennoch verstanden ihn selbst die Legionäre der letzten Reihe. Seiner wohltönenden Stimme lauschte man gern. Anders als die raue Aussprache des Feldherrn wirkte die Stimme des Princeps geschmeidig und träufelte, wenn er
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