Arminius
seine Lungen pressen. Als sie sich erhob, wirkte sie schmaler als zuvor.
»Wie ist er gestorben?«, fragte sie leise.
»Erstochen von fremder Hand?«, raunte es aus der Menge. »Wer war der Unhold, wer hat ihn ermordet?«
»Ich war es«, antwortete Segestes mit fester Stimme, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, als habe es sich um einen Hund gehandelt, den man erschlagen musste, weil die Tollwut ihn rasend gemacht hatte. Die Witwe brauchte eine Weile, um die Ungeheuerlichkeit von Segestes’ Worten zu erfassen. Wie dreist musste der Gefolgsherr sein, um ihr seelenruhig mitzuteilen, dass er ihren Mann erschlagen hatte? Unschlüssig musterte sie ihn, dann hämmerte sie mit beiden Fäusten auf ihn ein, doch Segestes umklammerte sie mit seinem beiden Armen, die sich wie ein eiserner Ring um sie legten und ihr die Arme an den Körper pressten.
Als Segestes die Weichheit ihres Körpers spürte, überkam ihn eine unbändige Lust. Nur zu gern hätte er ihr das Kleid vom Körper gerissen und wäre gleich hier, einerlei, ob alle zuschauten, über sie hergefallen. Ihr rundlicher Körper strömte Geborgenheit und Wärme aus. Doch er riss sich zusammen und flüsterte ihr halblaut ins Ohr: »Still, still. Dein Mann hat es nicht anders gewollt! Ich werde für dich und deine Kinder sorgen. Besser, als er es je konnte. Es soll deinen Welpen nicht schlechter ergehen als meinen eigenen. Du und deine ganze Sippe, ihr werdet keine Not leiden. Das schwöre ich! Aber wenn du Rache willst, dann werde ich euch vernichten, dich, deine Eltern, deine Kinder, all deine Verwandten. Feinde kann ich nicht dulden! Überleg es dir gut! Ist es denn nicht genug, dass er gestorben ist?«
Er ließ sie los. Einen Moment verharrte sie reglos wie eine Säule und sagte dann laut: »Wir haben einen Gast. Kocht für ihn und bewirtet ihn. Mich aber lasst nun meinen Mann beweinen, bringt ihn in seine Lieblingsecke. Kommt her, meine Söhne, kommt her, meine Töchter, wir wollen um ihn trauern, wie es sich gehört. Und dann wollen wir dem Gefolgsherrn für seinen Schutz danken.«
Sie hatte kaum ausgesprochen, als sich der Kehle einer jungen Magd ein tierischer Laut entrang. Man sah ihr an, dass sie schwanger war. Mit einem großen Messer stürzte sie auf Segestes zu. Der aber riss es ihr aus der Hand und schlug ihr mit voller Wucht ins Gesicht. Das Mädchen drehte sich einmal um die eigene Achse und brach zusammen.
»Ich sollte das Biest erschlagen«, brummte Segestes.
»Wag es nicht! Sie trägt ein Kind von meinem Mann.«
»Gut, aber sie muss verschwinden. Wenn ich sie bei dir antreffe, seid ihr alle des Todes. Ich dulde sie nicht. Jagt sie fort.«
»Lass dich bewirten, Herr, du hattest einen anstrengenden Ritt«, sagte die Hausherrin ruhig. Dann winkte sie ihren ältesten Sohn zu sich, half der Magd aufzustehen und trat mit beiden vor die Tür. Kaum hatte sie das Langhaus verlassen, brachen die Frauen drinnen in ein ohrenbetäubendes Trauergeheul aus.
Als sie allein ins Haus zurückkehrte, musste Segestes gegen das Klagegeschrei anbrüllen: »Sag mir, was du mit der Magd vorhast.«
»Du duldest sie nicht auf meinem Hof, also wird sie ihn verlassen. Alles andere geht dich nichts an!«, gab sie ihm kühl zurück und stimmte in das Klagen der Frauen ein.
12
Arminius marschierte zwischen seinem Bruder und dem Chatten. Sie durchquerten eine Villenlandschaft mit prachtvollen Gutshäusern inmitten fruchtbarer Pflanzungen. Zuweilen erblickten sie einfache Bauernhäuser zwischen kleinen Äckern oder auch lang gezogene und schmucklose Wohngebäude in der Nähe der Villen für die Sklaven. Zur Rechten zeichneten sich immer deutlicher die Umrisse einer Stadt ab. Aus Pflichtgefühl und aus Zeitvertreib memorierten sie lateinische Vokabeln, als plötzlich der Zug vor ihnen zum Stehen kam. Die römische Würde, die gravitas, missachtend, die ihm sonst so wichtig war, eilte Salvianus geschwinden Schrittes auf die drei zu. Sein hüpfender Gang und das unentwegte Pumpen der Unterarme erinnerten sie an ein aufgescheuchtes Huhn, und sie lächelten beim Anblick des heranflatternden Lehrers. Von Weitem schon rief Salvianus keuchend: »Kommt! Kommt, Kinder! Seht den Princeps!«
Den beiden cheruskischen Jungen verging augenblicklich das Lächeln, ihre Mienen wurden aufgeregt und ernst. Es verschlug ihnen den Atem. Gleich sollten sie mit eigenen Augen den großen Herrscher des Imperium Romanum sehen, Augustus, den Gebieter über Leben und Tod, den nicht
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