Arminius
es wollte, wie Balsam in den Ohren. Nun aber holte Augustus tief Luft. Den Arm um Julius’ Schultern gelegt brüllte er laut mit befehlsgewohnter Stimme: »Er soll zu seiner Ehre, zu Ehre seiner Familie in meinem Mausoleum in Rom ruhen. Soldaten, bringen wir euren Imperator nach Hause! Der heutige Tag gehört allein dem Klagen, der morgige aber der Rache!«
Und die Legionäre antworten wie mit einer Stimme: »So soll es sein, Caesar!« Denn für sie war er Caesar, der Kaiser, der Sohn des ersten, des vergöttlichten Gaius Julius Caesar.
Arminius fröstelte mit einem Mal, so kalt wurde ihm plötzlich ums Herz. Denn er begriff, dass der Mann, der dort von Rache sprach, auch die Macht besaß, seine Drohungen in die Tat umzusetzen. Der Herrscher nahm seinen Arm von Julius’ Schulter, und dieser wich einen Schritt zurück. Die Prätorianer langten unterdessen am Fuß des Hügels an. Der Sänfte entstieg nun eine Frau in einem dunklen Kleid. Ihr Haar verbarg eine schwarze Stola. Anders als der Kaiser wirkte sie kühl und zurückhaltend.
»Das ist Livia, die Frau des Augustus und Mutter des Drusus und des Tiberius«, flüsterte Salvianus seinen Schützlingen zu. Arminius wunderte sich über die Selbstbeherrschung, die Livia angesichts der Leiche ihres Sohnes bewahrte. Germanische Frauen wären längst in lautes Wehklagen ausgebrochen. Dann fragte er den Lehrer: »Und Augustus ist der Vater?«
»Nein, Tiberius und Drusus entstammen der ersten Ehe der erlauchten Livia.«
Nun staunte der kleine Cherusker noch mehr, denn die Gefühle des Stiefvaters für den Toten übertrafen offensichtlich die der leiblichen Mutter.
Arminius spürte, dass der Blick des Princeps auf ihm ruhte, doch Augustus sagte nichts und schien sich auch nicht nach ihm zu erkundigen. Es war eher ein kurzes, nachdenkliches Mustern. Nicht die geringste Kleinigkeit schien dem stets aufmerksamen Blick des Herrscher zu entgehen.
Augustus nahm Julius bei der Hand und trat mit ihm hinter der Bahre. Die Träger hoben den Toten auf, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Hinter der Bahre schritten der Kaiser und der Sohn des Feldherrn, es folgten die Sänfte mit der Mutter des Nero Claudius Drusus und schließlich dessen Ehefrau Antonia und sein Bruder Nero Claudius Tiberius. Dahinter reihten sich die Prätorianer vor den Legionären ein. Arminius, der das Ganze beobachtete, wurde von Salvianus mitgezogen, um mit ihm, Germir und dem Chatten wieder einen Platz am Schluss des Zuges einzunehmen. Allen voran schritt auf der sonnenerwärmten Reichsstraße ein Flötenspieler, der eine Totenklage in die mittägliche Landschaft blies, mit langen lydischen Intervallen, unsagbar traurig. Wie der Schrei einer Zikade, der sich endlos verlängerte.
Als sie endlich den Kamm des Hügels erreichten, klappte den cheruskischen Jungen vor Staunen der Unterkiefer herunter. Soweit das Auge reichte, säumten römische Bürger mit gesenkten Köpfen zu beiden Seiten die Straße, um dem Feldherrn die letzte Ehre zu erweisen. Soweit Arminius zu sehen vermochte, zog sich das Spalier der trauernden Bürger hin. Mit was für einem Volk haben wir Cherusker es hier nur zu tun?, hämmerte es in seinen Schläfen. Werden wir die Römer je besiegen können? Ihm wurde bang ums Herz. Hatte Segestes, Eldas Vater, doch recht mit seiner Ansicht, dass man mit den Römern im Bunde leben musste, wenn man nicht untergehen wollte?
Ticinum war eine jener eintönigen römischen Provinzstädte, in der das Leben der reichen Oberschicht einer nie enden wollenden Mittagsruhe glich. Nichts Ungewöhnliches passierte. Der Ehrgeiz dieser Leute erschöpfte sich darin, die eigene Macht am Orte auszubauen und es durch Handel und Ackerbau oder Steuerpacht zu einigem Wohlstand zu bringen. So verlief das Leben zwar langweilig, aber es war sicher. Hielt man sich von der Politik fern, so verschonte sie einen auch. Falls es einen jedoch danach gelüstete, Karriere zu machen, besonders wohlhabend und besonders einflussreich zu werden – was oftmals das Gleiche war –, dann empfahl es sich, der Heimat den Rücken zu kehren. Mächtig konnte man nur in Rom, dem Haupt der Welt, werden, nicht aber in diesem norditalischen Provinzstädtchen.
Lucius Cottus hatte dem Senat der Hauptstadt angehört. Nachdem aber viele seiner Jugendfreunde dem Gemetzel der Bürgerkriegszeit zum Opfer gefallen waren und schon in ihren Gräbern ruhten, hatte er sich in die Provinz zurückgezogen. Dort wurde er immer reicher und genoss die
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