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Arminius

Arminius

Titel: Arminius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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bedeckte das Haupt.
    Bevor sie schreien konnte, hielt die zerbrechlich wirkende Gestalt ihr mit unerwarteter Kraft den Mund zu. »Still, still.« Dann brach ein ohrenbetäubender Lärm über sie herein. Hart schlugen die Hufe unzähliger Pferde auf den gefrorenen Weg, Wölfe heulten, Hunde jaulten. Raue Männerstimmen riefen: »He ja!«, und, »Voran!«, und, »Fangt ihn, den Zwergenfurz!«
    Elda bereute bitter, dass sie nicht zu Hause in ihrem warmen Bett geblieben war, und schloss für einen Moment die Augen. Ach, könnte sie die Zeit nur zurückdrehen! Doch dann trieb sie die Neugier, die Augen wieder zu öffnen. Nun brannte auch der Himmel!
    »Wotans wildes Heer!«, raunte ihr der Albino zu. Und da kamen sie auch schon, schwarze, vermummte Gestalten, die auf ihren Rappen über den Weg flogen, mit Fackeln und verrosteten Schwertern in ihren Händen. Sie spähten nach rechts und nach links. Ihre Stimmen klangen eigenartig hohl und hallten in der eisigen Luft wieder.
    »Schaut genauer hin. Wir müssen ihn finden!«
    »Wir werden ihn finden.«
    »Anders werdet ihr nicht erlöst.«
    »Schaut genauer hin.«
    »Schaut hin, ihr Unholde!«
    Der Schleim der Pferde spritzte auf den Weg und fror sofort an. Endlich entdeckten Elda und der Junge das Ende der unheimlichen Schar. Sie wollten schon aufatmen, da zügelte einer der letzten Reiter sein Pferd und hielt an. Das Pferd tänzelte ungeduldig, während er sich im Sattel aufrichtete und um sich spähte. Nach einer, wie ihnen vorkam, endlosen Weile setzte er sich wieder und ritt langsam am Wegrand entlang. Elda konnte hören, wie er den Rotz hochzog und schnupperte. Aus Angst, ihr Herzschlag könnte sie verraten, traute sie sich kaum mehr zu atmen. Der Reiter näherte sich immer mehr der Stelle, an dem sie und der Junge im Strauch versteckt lagen.
    Dann schaute sie plötzlich in das Antlitz des Mannes, bevor sie in einen schwarzen Abgrund fiel. Er schien endlos tief, und es war so finster darin, dass sie nichts, aber auch gar nichts zu erkennen vermochte. Vor ihrem inneren Auge stand das Letzte, was sie vor ihrem Fall erblickt hatte: ein grau-weißer Totenschädel mit Augenhöhlen so schwarz wie der Abgrund.

    Und Rom stank. Nie zuvor war Arminius ein derart betäubender Geruch nach verdorbenen Lebensmitteln, fauligen Fischabfällen, gärendem Obst und frischen Exkrementen in die Nase gestiegen. Darunter mischte sich der süßlich-scharfe Gestank von Urin, der in der Luft stand und aus den Amphoren drang, die an allen Ecken in der Stadt und in allen Mietshäusern unter den Treppenaufgängen von der Innung der Walker aufgestellt worden waren, um das abgeschlagene Wasser zu sammeln, das sie zum Gerben des Leders dringend benötigten. Diesen Geruch, der sich wie selbstverständlich in Arminius’ Riechnerv einnistete, würde er eines Tages nicht mehr empfinden. Sein Widerwille würde abstumpfen.
    Aber das konnte der Neuankömmling nicht wissen, wie er auch noch nicht verstand, dass es das Leben und der Tod waren, nach dem Rom roch, nach Geburt und Verwesung in den Duftnoten von Blut und von Ambra, von dem süß-harzigen Weihrauch der Gastmähler und von dem satten Schweiß der Gladiatoren. Der Tod selbst empfing ihn in der flüchtigen Gestalt des Lebens. Das Leben, das ein Hauch sein konnte oder eine Ausdünstung, je nachdem, so leicht und doch so beharrend, weil es wusste, dass es unweigerlich vergehen würde und nur eine Erinnerung hinterließ, die in der Luft hängenblieb, der Hauch aus den Lungen, der Arminius und jeden anderen als Atmosphäre umgab. All das wusste Arminius in diesem Moment noch nicht, obwohl er spürte, dass er eine Grenze überschritten hatte. Seine geschlossene und tröstlich kleine Welt zerfiel endgültig unter dem Ansturm der mächtigen Aromen.
    Der Gestank eilte der Stadt sogar voraus. Arminius hatte auf seiner Reise hierher inzwischen viele römische Orte gesehen, deren Eingangsstraßen allesamt Mausoleen säumten. Salvianus hatte ihm erklärt, dass die Römer mit ihren Toten lebten und dass ihre Ahnen solange existierten, wie sich ihre Nachkommen an sie erinnerten. Deshalb setzten sie ihre Grüfte an die Ränder der Straßen, an belebte Stellen, sodass immer jemand an den Toten dachte, weil er sozusagen mit den Augen darauf gestoßen wurde. Das garantierte dem Verblichenen die Teilnahme am Leben. Doch die Größe und Vielzahl der Grabmäler hier an der Via Flaminia, über die sie vorbei am Marsfeld bis zum Forum in die Stadt einzogen, übertrafen

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