Arminius
heraus. Die verspielten Farben der Fassaden bereiteten ihr eine Art kindlicher Freude. Am liebsten wäre sie stehen geblieben und hätte ihrer Fantasie freien Lauf gelassen. Was verbarg sich wohl hinter den blau und gelb und rot getünchten Wänden? Als Elda vom Pferd stieg, spürte sie das harte Pflaster der Straßen unter ihren Füßen, die bisher nur an weiche Feld-und Waldwege gewohnt waren. Sie bewunderte den Marktplatz mit seiner Rednertribüne, die großen Hallen und die monumentalen Häuser der römischen Götter.
»Da seht ihr, was wir Germanen können, wenn wir uns nur mit den Römern verbünden«, rief Segestes voller Bewunderung aus. Und nicht einmal Elda konnte ihm widersprechen. »Wir sollten uns an den Ubiern ein Beispiel nehmen.« Das war ihr denn doch zu viel, und sie wollte schon etwas möglichst Spöttisches erwidern, da trat ein Beamter des Statthalters auf sie zu und begrüßte sie würdevoll. Er fragte Segestes nach seinem Namen und bot sich an, sie sogleich zum Haus des Ritters Lucius Marcus Lupus zu führen, der sich die Ehre gäbe, sie für die Dauer ihres Aufenthaltes bei den Festlichkeiten als Gast in seinem Haus beherbergen zu dürfen.
»Der Statthalter hat alles trefflich vorbereitet«, stellte Segestes befriedigt fest.
»Saturninus ist ein erfahrener Politiker und ein siegreicher Feldherr. Er überlässt nichts dem Zufall«, erwiderte der Beamte in belehrendem Ton und mit unbewegtem Gesicht. »Euer Gastgeber, der ehrenwerte Lucius Marcus Lupus, ist römischer Ritter, außerdem der Steuerpächter der Germania inferior.«
Elda wusste, dass der Senat die Steuerschuld an Privatpersonen verpachtete, denen es dann überlassen blieb, das Geld einzutreiben. Eine verwerfliche Tätigkeit, wie Elda fand, deshalb traute sie ihren Ohren nicht, als sie den Römer prahlen hörte: »Er besitzt das größte Haus und ist der zweitwichtigste Mann in der Provinz, nach dem Statthalter, versteht sich. Ein besseres Quartier könnt ihr schwerlich finden.«
Elda sah ihrem Vater an, dass er sich geschmeichelt fühlte, und beschloss, von nun an besonders auf der Hut zu sein, denn mit Speck fing man bekanntlich Mäuse.
Unterdessen waren sie vor dem zweistöckigen Haus des Ritters angekommen. Die Mauern des Gebäudes schienen kein Ende zu nehmen und den ganzen Straßenzug auf einer Seite zu begrenzen. Elda fragte sich, wie weit sich das Anwesen hinter den Mauern wohl erstreckte. Steuern einzunehmen schien ein einträgliches Geschäft zu sein.
Im Grunde war es natürlich Diebstahl, aber wer lebte schon besser als ein Dieb, den die Macht beschützte, weil sie seine Komplizin war. Immer, wenn die Steuereintreiber auf dem Hof des Segestes erschienen waren, hatte Elda sich für den Vater geschämt, der bereitwillig seinen Tribut entrichtete, obwohl er doch ein freier cheruskischer Fürst war und das Raubgesindel mit bissigen Schweinen vom Hof hätte jagen sollen, anstatt ihnen von ihrem hart erarbeiteten Gut abzugeben. Und wofür? Damit sich dieser Ritter hier ein großes Haus bauen konnte?
Der Zauber der unbekannten Welt schwand, als Elda der Preis der Pracht in den Sinn kam. Mit einem Mal fehlte ihr Ansar, und sie fragte sich traurig, wo er wohl war und wie es ihm ging. Sollte ihr Vater tatsächlich Hand an ihn gelegt haben, so würde sie ihm das nicht durchgehen lassen, sondern den Tag herbeisehnen, ihn dafür zu bestrafen. Die kindliche Freude in ihren Augen erlosch.
Den pompösen Eingang des Hauses fassten zwei dorische Säulen ein, während auf der Eingangstufe ein Schriftzug in vergoldeten Lettern mahnte: »Du bist willkommen! Lass deshalb alle Unbill fahren!« Das hättest du wohl gern, dachte Elda böse.
»Tretet ein«, forderte der Beamte Segestes und seine Familie auf. Elda folgte ihrem Vater nach ihrer Mutter, dem älteren Bruder, seiner Frau und ihren drei kleinen Rangen ins Atrium.
Der Pfortensklave, der in der Nische, die vom Eingang rechts abging, angekettet war, schlug eine kleine Glocke. Ein anderer Sklave – wie es schien der Verwalter des Hauses – kam ihnen entgegen und führte sie nach einer kurzen, gewohnheitsmäßig freundlichen Begrüßung in die Empfangshalle. Aus dem Inneren des Hauses trat bald darauf der Hausherr, begleitet von zwei Mädchen, die Elda auf sieben und fünfzehn Jahre schätzte. Während die Jüngere die neuen Gäste scheu anblickte, musterte die Ältere sie unverhohlen mit einem Blick, in dem Neugier und Furcht standen. Elda erkannte, dass sie und ihre Familie in
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