Arminius
Tod. Aber sie waren so herrlich frei, denn sie wussten auch, dass der Dolch nur von vorn und niemals von hinten kam. Deshalb war bei diesen Besäufnissen die Zunge lockerer und das Herz offener.
Aus ebendiesem Grund war es nicht verwunderlich, dass Augustus Legionslager und Krieg hasste. Der große Kaiser war ein durchtriebener Politiker, der virtuos mit den Stimmungen und Gefühlen der Menschen spielen konnte. Bereitwillig richtete er Spiele aus, die das einfache Volk liebte, und ließ sich, wann immer es ging, demonstrativ bei diesen Ereignissen sehen. Als Feldherr jedoch war er eine glatte Fehlbesetzung – alle Siege des großen Augustus hatten andere erfochten, Agrippa, er, Tiberius, selbst oder sein Bruder Drusus. Und genau aus diesem Grunde liebte Tiberius die Gemeinschaft der Männer im Krieg und hasste die Politik.
Augustus, auch hierin typisch Politiker, verachtete die Philosophen, während Tiberius sie liebte. Wie hatte ihm der Stoiker Thrasyllos einmal gesagt: »Nur Soldaten können Philosophen sein.« »Aber ich kenne so viele Soldaten, die keine Philosophen sind«, hatte er damals eingewandt. Thrasyllos hatte nur gelächelt: »Dann sind sie nur Schlagetots, aber keine Soldaten. Der Krieg ist eine Kunst, mein Freund, er ist der Vater aller Dinge.«
Tiberius sah, dass die Offiziere zu viel tranken und unverzinsbare Windbeuteleien verkündeten. Doch er liebte diese Männer, die mit ihm zu der größten militärischen Unternehmung, die Rom seit über hundertfünfzig Jahren gesehen hatte, aufbrachen.
»Imperator«, riss ihn der ewig wissbegierige Velleius aus seinen Gedanken, »Imperator, ich hatte das Gefühl, dass ihr Maroboduus achtet. Aber er ist doch ein Barbar. Warum also?«
Tiberius verzog unwillig den Mund. »Auch die weisen Griechen, die Söhne Alexanders des Großen, unterlagen unseren Bürgerheeren, obwohl wir für sie die Barbaren waren. Warum wohl?«
»Weil sie uns unterschätzt haben, Imperator?«
»Genau darum, mein lieber Velleius, weil sie uns unterschätzt haben. Unterschätzen wir unsre Feinde nicht. Maroboduus ist bei den Barbaren ein so großer König geworden, der Einzige und der Erste, dem sich der Adel einer ihrer Stämme gefügt hatte, weil er uns weder über-noch unterschätzt.«
»Aber woher weiß er so viel über uns?«, fragte Germanicus, und Arminius, der neben ihm saß, erwartete gespannt die Antwort des Tiberius.
»Ganz einfach. Er wurde in seiner Jugend in Rom ausgebildet. Er kennt uns.«
»Also dürfen wir nicht von oben auf sie herabschauen, sondern müssen auch sie kennenlernen«, sagte Germanicus und schaute gedankenverloren zu seinem Nachbarn. Die anderen Offiziere waren seinem Blick gefolgt und sahen nun alle zu Arminius hinüber.
»Das tust du ja nun schon lange genug«, entgegnete dieser verärgert.
»Erzähl uns von Gaius Caesar!«, hakte Tiberius ein. »Du warst bei ihm im Osten?«
»Ja, und auch als er starb«, antwortete Arminius. »Er war ein ausgezeichneter junger Mann.«
»Wie ist Armenien?«
»Was soll ich sagen, die Götter selbst ruhen sich dort aus. Die Liebe einer Mutter ist nichts gegen die Fürsorge der Sonne. Weintrauben, groß und süß, sprießen dort wie andernorts das Unkraut.«
»Redest du von den Weintrauben oder von den Mädchen?«, warf Germanicus lachend ein.
»Ach, dass du nur an das eine denken kannst, ich rede natürlich von den Weintrauben und den Mädchen. Wir haben den König eingesetzt und die Parther am Fluss Tigranes geschlagen, die unseren König wieder vertreiben wollten. Dabei wurde Gaius Caesar verletzt. So eine Scheißwunde macht aus einem Mann einen anderen Mann.«
»Wohl wahr«, pflichtete Germanicus dem Freunde bei. Tiberius wusste, dass er dabei an seinen Vater dachte, an Drusus, den der Sturz mit dem Pferd das Leben gekostet hatte.
»Ich war bei Gaius Caesar«, fuhr Arminius fort, »in seinem letzten halben Jahr. Er weigerte sich nach Rom zurückzukehren und wollte im Osten bleiben.«
»Wie gut ich ihn verstehe!«, sagte Germanicus halblaut mehr zu sich und ohne, dass es jemand mitbekam.
»Augustus drängte, doch Gaius sehnte sich nur danach, aus der Politik auszuscheiden, und wollte auch kein Kommando mehr übernehmen.«
»Aber was wollte er dann?«, fragte Tiberius stirnrunzelnd. Er hatte nie verstanden, weshalb der Jüngling, der ihm in der Nachfolge vorgezogen worden war und wegen dem er ins Exil gegangen war, so plötzlich auf alles verzichtete und bald drauf starb.
»Er suchte nach der Wahrheit«,
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