Arno-Linder 1: Papierkrieg
nicht ganz zufrieden. Er grübelte über das eben Gesagte nach und fügte einräumend hinzu: »Natürli, manchmal brauchen’s a starke Hand, aber des is eh bei alle Weiber so.«
Nachdem ›In the presence of the Lord‹ mit einem ziemlich coolen Gitarrensolo, das mit einem krachigen Breakeinstieg loslegte, vorbei war, verabschiedete ich mich und ging.
Unten in meiner Wohnung sperrte ich die Tür hinter mir ab, machte mir einen Tee warm und setzte mich hin. Ich zog den Brief mit dem braunen Packpapierumschlag aus meiner Manteltasche. Absender stand keiner drauf, zumindest keiner, den ich lesen hätte können. Ich öffnete vorsichtig den Umschlag, drinnen fand sich ein gefaltetes Blatt Papier und eine CD-ROM. Ich begann zu lesen.
Der Brief war von Sonja Mihailovic. Sie schrieb nach ein paar einleitenden Worten: »Mihailovic will Ihnen nichts davon sagen, aber weil Sie so freundlich waren und uns geholfen haben, will ich Ihnen auch was Gutes tun. Ich habe Ihnen die Datei von Mihailovic kopiert, in der die Verkäufe mit Slupetzky aufgeführt sind. Das wird Ihnen sicher helfen …«, dann kamen ein paar Floskeln und der Brief schloss. Darauf folgte ein kleines, nicht unwichtiges Postscriptum: »Die Datei ist passwortgeschützt. Es lautet einfach ›Code‹.«
Das war entschieden zu viel für mich. Hier saß ich Idiot, hatte mich hoffnungslos in die Patsche geritten, aus der es kein Entkommen mehr gab. Dazu hatte ich eine reizende Frau mit ihrem ungeborenen Kind mitsamt Vater und Ehemann auf dem Gewissen. Ein echter Mann würde jetzt einfach mit steifer Oberlippe die bittere Pille schlucken. Aber nein, ich wand mich heraus, und wenn es dazu eines Briefs aus dem Jenseits bedurfte. Mir war kein Preis zu hoch und kein Verbrechen zu schrecklich. Ich ekelte mich vor mir selbst.
Aber nur kurz, dann wischte ich die Selbstvorwürfe zur Seite und spielte die CD-ROM auf meinen Computer. Ich öffnete die Datei und tippte in das Dialogfeld die Buchstaben ›C, o, d, e‹ ein und drückte Enter. Ich wartete einen Augenblick und musste lachen. Denn der Code war falsch. Ich dachte kurz nach. Klar, die Mihailovics waren Serben, sie schrieben in kyrillischer Schrift. Ich stellte meine Sprach- und Zeichenwahl um und gab wieder ›C, o, d, e‹ ein. Wieder nichts.
Mein Gewissen atmete durch. Ich war doch verdammt, das Schicksal hatte es nur besonders niederträchtig gemeint und mir eine Chance vorgegaukelt, wo gar keine bestand. Doch mein böses Ich gab keine Ruhe und ich googelte nach einem serbischen Wörterbuch. Nachdem ich ein bisschen gestöbert hatte, fand sich auch eines. Es führte zwölf mögliche Übersetzungen für das englische ›Code‹ an. Ich probierte alle durch, sowohl in lateinischen als auch kyrillischen Buchstaben. Noch immer hatte ich keinen Zugriff, es war frustrierend.
Ich dachte ein wenig nach. Dann legte ich mir die ersten drei Brandenburger Konzerte von Bach auf, richtete mir meine Utensilien her und baute mir einen kleinen Joint. Irgendwie musste ich ja die Gehirnwindungen in Gang bringen. Mit dem ersten Zug schaltete ich den CD-Player ein und die herrliche Musik flutete durch den Raum. Geordnet, geschmackvoll und wunderbar logisch. Ich inhalierte tief und hielt bei geschlossenen Augen den Atem an, solange es nur irgendwie gehen mochte. Dabei konzentrierte ich mich ausschließlich auf die Musik, bis der Schmerz in den Lungen zu groß wurde und ich ausatmen musste. Das wiederholte ich, bis der Rauch so heiß wurde, dass es beim besten Willen nicht mehr auszuhalten war. Ich nippte an meiner Teetasse und setzte mich wieder vor den Bildschirm. Obwohl ich einen Mäusejoint gemacht hatte, war ich ganz schön high, mein Hinterkopf brannte, als ob ihn eine glühende Hand anheben würde, und meine Beine kribbelten, als ob ich in einen Ameisenhügel geraten wäre. Außerdem war mir furchtbar kalt. Ich holte meine Decke und warf sie mir über die Schultern, ich hatte mich wohl ordentlich verkühlt. Am liebsten hätte ich jetzt alles stehen und liegen gelassen und mich einfach auf die Couch geworfen, um zu schlafen. Aber irgendwie kramte ich den letzten Rest von Stolz und Willen hervor, den ich nur irgendwie auftreiben konnte und machte mich daran, des Rätsels Lösung zu finden.
Aber auch das THC verhalf mir zu keiner neuen Inspiration. Mir fiel genau genommen gar nichts ein. Schließlich gab ich auf und fing einfach an, alle Anagramme von ›Code‹ durchzuprobieren, sowohl auf kyrillisch als auch in Latein.
Da
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