Arsen und Apfelwein
Botschaft zufällig über uns stolpert?«
»Bei Ihnen zuhause?«, schlug Jenny vor.
»Auf keinen Fall«, antwortete er entrüstet. »Eine Frau ihrer Nationalität alleine mit einem Mann in der Wohnung …«
»Verstehe schon«, unterbrach Jenny ihn. »Wo da genau?«
»Haupteingang rein, dann dem Lindenweg folgen. Sie werden uns sehen.«
»Bis gleich.«
Eine Viertelstunde später parkte sie auf dem Parkplatz des Hauptfriedhofs vor dem sogenannten Alten Portal. Die besondere Atmosphäre des fast zweihundert Jahre alten Friedhofs umfing sie, als sie das Eingangstor durchschritt.
Sie sah sich kurz um und folgte dem Lindenweg, der in nordöstlicher Richtung vom Eingang wegführte. Nach wenigen Metern umgab sie Ruhe, die Straßengeräusche drangen nur noch gedämpft bis hierher durch. Das Licht fiel gefiltert durch das dichte Blätterdach der Bäume.
Sie folgte dem Weg ein paar Minuten, bis sie in einer Ausbuchtung auf einer Bank Lange und seine Freundin entdeckte.
Jenny ging auf sie zu und blieb vor ihnen stehen. Lange lächelte nervös zu ihr hinauf. Sie grüßte ihn mit einem Nicken und wandte sich dann zu seiner Freundin.
Die junge Frau war ausgesprochen hübsch. Ihre Gestalt war von einem langen formlosen Gewand verhüllt, trotzdem war ersichtlich, dass sie schmal und zierlich war. Scheu sah sie Jenny an. Ihre Augen waren dunkel und leicht mandelförmig. Jenny lächelte beruhigend. »Ich bin Jenny.« Sie streckte die Hand aus und die junge Frau ergriff sie.
»Ich bin Rabiah. Bitte setzen Sie sich zu uns.«
Jenny nahm neben ihr Platz. »Danke, dass Sie mit mir sprechen. Hat Herr Lange Ihnen erklärt, worum es geht?«
Obwohl die junge Frau ein weißes Seidentuch um Kopf und Schultern drapiert hatte, sah Jenny, wie sie die Stirn runzelte. »Er hat es versucht. Es geht um diesen jungen Mann.«
»Was genau machen Sie in der Botschaft?«
»Ich bin eine Art Organisatorin. Eine Mischung aus Sekretärin und Eventmanagerin. So könnte man es wohl am besten beschreiben.«
»Sie arbeiten direkt für den Botschafter?«
Sie nickte. »Es ist selten, dass Frauen in unserem Land einen so hohen Posten ausüben. Ich habe es dem Umstand zu verdanken, dass ich sehr weitläufig mit dem Botschafter verwandt bin. Meine Mutter war eine Schweizerin. Ich durfte zur Schule gehen.«
In ihrer Aussage lagen Stolz und Kummer dicht beieinander.
Jenny dachte einen Moment darüber nach. »Was für ein Mensch ist der Botschafter?«, fragte sie dann.
»Der Botschafter ist ein großer Mann. Nett, integer, aufgeschlossen. Er lebt gerne in Deutschland und möchte alle Sitten und Gebräuche kennenlernen und leben. Letztes Jahr gab es sogar eine Weihnachtsfeier. Mit Apfelwein, Glühwein und einem Weihnachtsmann.«
»Ist auf der Feier, auf der die Duprais waren, etwas Ungewöhnliches passiert?«
»Nicht, dass ich wüsste. Es war eine Feier wie alle anderen. Anders die Weihnachtsfeier. In ihrem Verlauf wurde eingebrochen. Ich weiß nicht, ob das irgendetwas mit Ihrer Sache zu tun hat?«
Jenny wurde hellhörig. »Es könnte wichtig sein.«
»Die Botschaft war in heller Aufregung. Dann wurde noch in weiteren Botschaften eingebrochen.«
»Konnten die Einbrüche aufgeklärt werden? Hat die Polizei die Täter gefunden?«
»Es wurde keine Polizei gerufen. Die Regierung unseres Landes wünschte, dass die Angelegenheit intern bleibt. Unser Wachpersonal ist der Sache ergebnislos nachgegangen. Die anderen Botschaften haben das wahrscheinlich ähnlich gehandhabt.«
»Was wurde gestohlen?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Genau weiß ich es nicht. Geld. Einige kleinere Wertgegenstände. Nichts Weltbewegendes. Vielleicht war Ihr junger Mann der Einbrecher?«
»Warum sollte er sich dann noch monatelang vor die Tür stellen? Es sei denn, er hätte bei dem Einbruch etwas gesehen, dass ihn immer wieder dort hingezogen hat.«
»Was sollte das sein, Frau Kommissarin?«
»Sagen Sie ruhig Jenny. Ich habe keine Ahnung. Vielleicht hat er sich in jemanden verliebt?«
Rabiah überlegte lange. »Da käme nur jemand vom Personal infrage.«
»Wer arbeitet alles bei Ihnen?«
»Hauspersonal, Köche, Fahrer, Wachleute …«
»Ich wüsste gerne genau, wer.«
Rabiah lehnte sich zurück. »Sie wissen nicht, wie es in einem solchen Haushalt zugeht. Die Klassen sind streng getrennt. Ich darf nicht in die unteren Stockwerke und niederes Personal nicht in die oberen. Wir haben Mitarbeiter, die ich noch nie gesehen habe. Zum Beispiel habe ich noch niemals die Küche
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