Artefakt
scharfen Kurve herum und flog zurück. Claire verlor den anderen Hubschrauber aus den Augen.
»Ist mir gleich«, rief Hale in sein Mikrophon. »Nehme Lager unter Feuer. Muß SMG ausschalten!«
Die dumpfen Schläge von oben begannen aufs neue. Claire begriff, daß es so rasche Feuerstöße waren, daß sie nicht als eine Anzahl von Schüssen zu unterscheiden waren.
Hale hatte offenbar Verbindung mit dem anderen Hubschrauber, denn er rief: »Versucht über die Hügel zu kommen, außer Reichweite.«
Er lauschte. Claire hörte ein unregelmäßiges, schleifendes Geräusch. Es wurde höher, ging in ein Winseln über.
»Sie gehen hinunter«, sagte Hale mit tonloser Stimme.
Kaum hatte er das letzte Wort gesagt, da erhellte ein gelblichweißer Lichtblitz die Nacht vor dem Fenster. Es folgte ein dumpfes Krachen, dann eine vernichtende Explosion. Der Lichtschein verblaßte, erhellte aber weiterhin das Innere der Kabine mit einem geisterhaften Widerschein, der die starren, entsetzten Gesichter sekundenlang bloßstellte.
5
John wand sich aufwärts, die Lampe in der vorgestreckten Hand, Schultern und Beine immer wieder den Fels streifend. Der Zylinder auf seinem Rücken schlug hell gegen die beengende Höhlenwände.
Er hatte sie nicht so eng in Erinnerung. Könnte das Gestein sich verlagert haben? Nein, das war einfältig. Zuvor war er zum Licht hinabgetaucht, hatte nicht darüber nachgedacht, wie eng die Passage war. Und er hatte kein Sauerstoffgerät auf dem Rücken getragen. Die Felsen schienen unmöglich nahe heranzudrängen, von einem nichts Gutes verheißenden Rot, als wollten sie ihn zurückhalten. Es war kaum vorstellbar, daß die Kiste mit dem Würfel hier hinuntergefallen sein sollte.
Er überwand einen vorstehenden Felsknollen, und mit diesem Manöver hätte er um ein Haar alles verloren. Seine Maske kratzte am Stein, Wasser trübte seine Sicht und drang ihm in die Nase. Er riß instinktiv den Kopf zurück und schlug ihn gegen den Felsen. Jähe panische Furcht erfüllte ihn. Salz brannte ihm in den Augen. Er vergaß, daß es auf seine Nase nicht ankam, weil er durch den Mund atmete. Er sog ein, und die Nasenlöcher füllten sich.
Er zog an der Maske, schwamm automatisch aufwärts zur Oberfläche und stieß schmerzhaft gegen Fels. Es gab keine Oberfläche, nur Gestein ringsherum, keinen Weg hinauf an die Luft. Dies war eine lange Röhre, die zu einem Grab führte, es war alles ein Grab, ein Ort für die Toten.
Laß das Einatmen durch die Nase, sagte er sich. Hör auf! Komm zu dir!
Der Gedanke brachte ihn zur Besinnung, und er folgte der alten Regel, daß man warten soll, bis die Panik nachläßt. Gräber, Tod, für immer im Stein begraben – nein, vergiß das! Geh Schritt für Schritt vor!
Das verschwommene Bild durch die mit Wasser vollgelaufene Maske sagte ihm nichts. Er zählte bis fünf und begann eine alte Übung.
Zurücklehnen. Die Oberkante der Maske gegen die Stirn pressen. Den unteren Teil nach außen biegen. Durch den Mund Luft aus dem Bedarfsventil atmen. Dann den Atem durch die Nase ausstoßen.
Er tat es mit aller Kraft, bis nichts mehr in ihm war. Die Sicht wurde klarer, obwohl die neuerliche Berührung mit Luft das Brennen in seinen Augen verstärkte.
Blasen stiegen empor, und er, schwerer geworden, sank abwärts. Er biß aufs Bedarfsventil und fand das frische Einströmen der Luft beruhigend. So unglaublich es scheinen mochte, seine Maske war klar. Er hatte es erreicht und war stolz. Jeder Taucher wußte, daß man innerhalb weniger Augenblicke sterben konnte, und er hatte diese Gefahr bestanden, ohne die Nerven zu verlieren. Er war doch nicht so schlecht.
Die Glasscheibe vor seinem Gesicht war am oberen Rand beschlagen, aber das hatte nichts zu bedeuten. Wegen einer Geringfügigkeit brauchte er das Manöver nicht zu wiederholen. Er dachte an nichts als so rasch wie möglich wieder ins Freie zu kommen. Einen Blick in die Höhle werfen, dann umkehren. Und eingekeilt wie er war, war es leichter, weiterzuschwimmen, als eine Wendung zu bewerkstelligen.
Er überwand den Felsknollen und ließ sich langsam aufwärtstreiben. Um die Panik zu überwinden, hatte er sich nach Belieben atmen lassen, nun aber war es Zeit, zum gleichmäßigen kurzen Saugen am Bedarfsventil zurückzukehren, die halbe Lunge voll Luft anzuhalten, solange es sich angenehm anfühlte, jedes Sauerstoffmolekül daraus zu ziehen, bevor er die Blasen hinausließ.
Der rote Lichtkegel stieß in undurchdringliche Finsternis.
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