Artemis Fowl
stand vor ihm, mit roten Wangen und außer Atem.
»Artemis«, japste sie. »Deine Mutter. Sie...«
Es war, als hätte ihn eine Kugel in den Magen getroffen. »Ja?«
»Sie... Artemis, sie sagt... Sie sagt, dass...«
»Juliet, was ist denn nun los, zum Kuckuck?«
Juliet hielt sich beide Hände vor den Mund, um sich zu sammeln. Nach einer kleinen Weile bewegten sich ihre paillettenbesetzten Nägel, und sie sprach zwischen ihren Fingern hindurch. »Es ist dein Vater, Artemis Senior. Madam Fowl sagt, er sei zurückgekommen!«
Artemis hätte schwören können, dass sein Herz einen Moment aussetzte. Vater? Zurückgekommen? Natürlich hatte er immer daran geglaubt, dass sein Vater noch lebte. Doch in letzter Zeit, seit er diesen Elfenplan ausheckte, war es fast so, als sei sein Vater in den Hintergrund gerückt. Er spürte, wie Schuldgefühle seinen Magen zusammenpressten. Er hatte ihn aufgegeben. Seinen eigenen Vater.
»Hast du ihn gesehen, Juliet? Mit eigenen Augen?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Nein, Artemis. Ich habe nur Stimmen gehört, im Schlafzimmer. Aber sie lässt mich nicht hinein, egal was ich versuche. Nicht einmal mit einem heißen Tee.«
Artemis rechnete. Sie waren erst vor knapp einer Stunde zurückgekommen. Sein Vater hätte an Juliet vorbeischlüpfen können. Es war möglich. Unwahrscheinlich, aber möglich. Er sah auf seine Uhr, die per Funk ständig exakt auf Greenwich Standardzeit abgestimmt wurde. Drei Uhr morgens. Die Zeit tickte. Sein ganzer Plan hing davon ab, dass die Elfen noch vor Tagesanbruch ihren nächsten Schritt unternahmen.
Artemis zuckte zusammen. Er tat es schon wieder - er schob seine Familie beiseite. Was war denn nur los mit ihm? Sein Vater war jetzt das Wichtigste, nicht irgendein Plan, um reich zu werden.
Juliet stand noch immer im Türrahmen und blickte ihn mit ihren riesigen blauen Augen an. Sie wartete darauf, dass er eine Entscheidung traf, wie er es immer tat. Doch diesmal zeichnete sich Ratlosigkeit auf seinen blassen Zügen ab.
»Nun gut«, murmelte er schließlich. »Dann sollte ich wohl besser mal raufgehen.«
Artemis schob sich an dem Mädchen vorbei und lief, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf. Das Zimmer seiner Mutter lag ein Stockwerk höher, im ausgebauten Dachboden.
Vor ihrer Tür zögerte er. Was sollte er sagen, wenn sein Vater tatsächlich auf wundersame Weise zurückgekehrt war? Was sollte er tun? Ach, es war lächerlich, sich deswegen verrückt zu machen. So etwas ließ sich nicht planen. Er klopfte leise.
»Mutter?«
Keine Antwort, aber er meinte, ein Kichern gehört zu haben, und fühlte sich augenblicklich in die Vergangenheit zurückversetzt. Ursprünglich war dies das private Wohnzimmer seiner Eltern gewesen. Stundenlang hatten sie auf der Chaiselongue gesessen und wie die Schulkinder herumgealbert, die Tauben gefüttert oder den Schiffen nachgesehen, die in der Dublin Bay vorüberzogen. Nachdem Artemis Senior verschwunden war, hatte Angeline Fowl sich immer häufiger dorthin zurückgezogen und sich schließlich geweigert, den Raum wieder zu verlassen.
»Mutter? Ist alles in Ordnung?«
Gedämpfte Stimmen, verschwörerisches Geflüster.
»Mutter, ich komme jetzt herein.«
»Warte einen Moment. Timmy, lass das, du Frechdachs. Wir bekommen Besuch.«
Timmy? Artemis' Herz dröhnte wie eine Trommel in seiner Brust. Timmy war ihr Spitzname für seinen Vater. Timmy und Arty, die beiden Männer in ihrem Leben. Er konnte nicht länger warten. Er stürmte durch die Doppeltür.
Das Erste, was er wahrnahm, war Licht. Seine Mutter hatte die Lampen eingeschaltet. Das war ein gutes Zeichen. Artemis wusste, wo er seine Mutter vorfinden würde. Er wusste genau, wohin er den Blick richten musste, aber er konnte es nicht. Was, wenn... ?
»Ja, was gibt es?«
Artemis wandte sich um, den Blick zum Boden gesenkt. »Ich bin's.«
Seine Mutter lachte, heiter und sorglos. »Ich sehe, dass du es bist, Papa. Kannst du deinen Jungen nicht wenigstens eine Nacht in Ruhe lassen? Immerhin sind es unsere Flitterwochen.«
Da begriff Artemis. Es war nur eine Steigerung ihrer Verrücktheit. Papa? Angeline hielt Artemis für seinen eigenen Großvater, der schon über zehn Jahre tot war. Langsam hob er den Blick,
Seine Mutter saß auf der Chaiselongue, strahlend in ihrem Hochzeitskleid, das Gesicht ungeschickt mit Schminke bedeckt. Doch das war nicht das Schlimmste.
Neben ihr saß eine Nachbildung seines Vaters, gebastelt aus dem Cut, den er an
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