Arto Ratamo 7: Der Finne
verfolgen, müsste auch er sich verstecken?
Sutela ließ seine Tasche in einem Schließfach im Foyer der Finnischen Nationalbibliothek. Der Mittelpunkt des von C. L. Engel entworfenen Gebäudes, der Kuppelsaal, war einer seiner Lieblingsplätze in Finnland, aber jetzt blieb keine Zeit, die Ornamente der Deckengewölbe und die griechischen Säulen zu bewundern. Er betrat die Rotunde derBibliothek, stieg rasch die Wendeltreppe hinauf in die oberste Etage und suchte sich einige Bücher heraus, in denen die Geschichte Lapplands und das Gebiet Petsamo behandelt wurden. Die wichtigsten Bände fanden sich in der Handbibliothek des allgemeinen Lesesaals: schwarze, in Leder gebundene Werke, auf deren Buchrücken zu lesen war: »Reichstagssitzungen 1947«.
Er ging mit seiner schweren Last die Holztreppe hinunter in den allgemeinen Lesesaal und setzte sich. Die Wahl von Jäniskoski als Ort für das Versteck der im Brief seines Vaters erwähnten Dokumente gab Sutela zu denken. Warum war das Dokument nicht in der Mitte Finnlands in einem Granitfelsen versteckt worden? Das Gebiet von Jäniskoski wurde im Waffenstillstandsabkommen von Moskau aus dem Jahre 1944 nicht erwähnt, und es erschien nicht einmal im Pariser Friedensvertrag von 1947. Sein Schicksal unterschied sich von dem aller anderen abgetretenen Gebiete. Der Ostteil der Kommune Inari war nicht wegen des verlorenen Krieges der Sowjetunion überlassen, sondern 1947 mehr oder weniger freiwillig verkauft worden.
Sutela blätterte in einem dicken Band, bis er das Gesuchte fand – Staatsverträge 8/1947. Das Gesetz über den Anschluss der Gebiete von Jäniskoski und Niskakoski an die Sowjetunion war nur eine halbe Seite lang und enthielt keine Einzelheiten der Gebietsabtretung. Er blätterte um und las die Verordnung zum selben Sachverhalt:
»Die Republik Finnland tritt das am Lauf des Paatsjoki befindliche einhundertsechsundsiebzig Quadratkilometer große Gebiet des Wasserkraftwerkes Jäniskoski und des Staudamms von Niskakoski einschließlich der auf diesem Gebiet liegenden festen Gebäude und Anlagen an die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ab, dieses Gebiet wird somit an das Staatsterritorium der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken angeschlossen, und die gegenwärtige Grenze zwischen der Republik Finnland und der Union
der Sozialistischen Sowjetrepubliken in diesem Gebiet ändert sich entsprechend der beigefügten Karte und Grenzbeschreibung.«
Sutelas Interesse wuchs noch, als er die Verträge über die Abtretung des Gebietes von Jäniskoski aufschlug:
»Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zahlt der Republik Finnland für das gemäß Artikel 1 dieses Vertrages an die UdSSR abgetretene Gebiet eine einmalige Entschädigung in Höhe von siebenhundert Millionen (700000000) Finnmark, wobei diese Entschädigung auch die auf dem Gebiet befindlichen Gebäude und Anlagen einschließt.«
Sutela schrieb die Koordinaten der Grenzlinie des abgetretenen Gebietes sorgfältig in sein Notizbuch und blätterte dann schnell die Bücher über Lappland und Petsamo durch. Der Mann am Nachbartisch, der aussah wie ein Wissenschaftler, putzte sich gerade laut die Nase, als Sutela das letzte Buch zuschlug. Viele Fragen gingen ihm durch den Kopf. Warum hatte sein Vater dieses Dokument ausgerechnet in Jäniskoski versteckt, dem einzigen Gebiet, das Finnland in der Zeit nach dem Waffenstillstandsabkommen von 1944 an die Sowjetunion abgetreten hatte? Hing die Gebietsabtretung von Jäniskoski irgendwie mit dem im Brief seines Vaters erwähnten Dokument zusammen?
Sutela schaute einer dunkelhaarigen Frau hinterher und stellte zu seiner Verwunderung fest, dass er den ganzen Tag nicht an Marissa gedacht hatte.
»Und diese Schwester vom Pflegedienst, die bei Otto Forsman gewesen war, wurde mit einem ›Splaw Raven‹ getötet, dem Standardmesser der russischen Spezialeinheiten. Aus großer Entfernung geworfen und genau getroffen. Mehr sage ich nicht, da dieser Fall nun mal nicht Sache der Sicherheitspolizei ist. Und offen gesagt weiß ich auch noch nicht mehr. Weshalb erkläre ich dir das eigentlich alles? Dafür darfst du mich zu einem guten Essen einladen.«
»Na klar«, erwiderte Ratamo und versuchte sein Glück: »Unter der Bedingung, dass du versprichst, mir Bescheid zu geben, wenn sich bei den Ermittlungen irgendetwas Interessantes ergibt.«
In der Leitung wurde es für einen Augenblick still. »Viel leicht lässt sich da was machen. Du hast mir ja voriges
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