Arto Ratamo 7: Der Finne
dass er dem typischen Bild eines Professors entsprach.
»Eerik Sutela. Schön, dass du bereit bist, mit nach Jäniskoski zu kommen. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, weil Jussi Ketonen, der alte Bekannte meines Vaters, die Einladung abgelehnt hat«, sagte Sutela und gestikulierte dabei mit seinen großen Händen. Ratamo sah nicht im Entferntesten wie ein Ermittler der Sicherheitspolizei aus, und sein T-Shirt schmückte ein berühmtes Zeitungsfoto, auf dem ein vietnamesisches Mädchen einem US-Soldaten den Mittelfinger zeigte.
Sie sprachen kurz über die Ereignisse der letzten Tage, die bevorstehende Reise nach Russland und die Frau, die sie durch die Wildnis führen würde, dann stiegen sie die Treppe zu Otto Forsmans Wohnung hinauf. Sutela öffnete die Tür, und beide schauten fassungslos auf das Bild, das sich ihnen bot. Die Räume sahen aus wie nach einem Wirbelsturm, auf dem Fußboden lag überall Papier, dazwischen Glasscherben, Kleidungsstücke …
»Was zum Teufel ist hier passiert? Das Notizbuch …« Sutela ging mit vorsichtigen Schritten zum Arbeitszimmer seines Vaters.
Ratamo blieb im Flur an der Teppichkante stehen, diezwischen Papierschnipseln hervorlugte. Er steckte sich einen Nikotinkaugummi in den Mund und blickte sich um. Es roch muffig, die Tapeten mit grellen Farben und großen Mustern erinnerten an die siebziger Jahre, und die dunklen massiven Möbelstücke schienen wertvoll zu sein. An einem Ehrenplatz im Flur hingen ein Schwert mit gerader Klinge und eine dunkle Scheide.
Er folgte Sutela, der im benachbarten Zimmer herumklapperte. »Du musst das anzeigen, wenn du zur Polizei gehst, um über deinen Vater zu reden. Kannst du erkennen, ob etwas gestohlen worden ist?«
»Wer soll denn in diesem Chaos durchsehen.« Sutela stand betroffen im Licht der Morgensonne und hob die Arme. »Vater hat wie ein Eichhörnchen alles Mögliche gesammelt, schon vor Jahren musste er auch das Wohnzimmer zum Arbeitsraum machen, weil der Platz für das Archiv nicht mehr reichte. Und ich wohne schon so lange im Ausland, dass ich mich kaum noch erinnere, wie es hier überhaupt ausgesehen hat.«
Ratamo musste lächeln; Sutela, der eher zurückhaltend wirkte, gestikulierte beim Reden mit den Händen wie ein sizilianischer Marktverkäufer. In dem Zimmer waren zwei Wände von Bücherregalen aus Holz verdeckt, der größte Teil der Bücher lag jetzt ausgebreitet auf dem Fußboden. An der dritten Wand standen verschließbare Metallschränke, und an der Fensterwand hingen Bilder, Fotos und Karten. Mitten in dem Raum thronte ein großer Schreibtisch, vollgepackt mit Papierkram. Ratamos Blick blieb an einer gerahmten Karte Finnlands von 1939 und einer ganzen Reihe von Offiziersfotos hängen. Er trat näher heran, erkannte aber kaum einen der Militärs.
Sutela antwortete, noch bevor Ratamo fragen konnte. »Das sind Generale aus dem Winter- und Fortsetzungskrieg: Generalquartiermeister A. F. Airo, ArtilleriegeneralVilho Nenonen, der Kommandeur der Karelischen Armee Erik Heinrichs, Generalmajor Erkki Raappana, wegen seiner Taktik auch bekannt als ›Waldgeneral‹, dann Hjalmar Siilasvuo, der Held der Schlacht von Suomussalmi, Mannerheims Vertrauter Paavo Talvela, der Panzergeneral Ruben Lagus, General Kustaa Tapola, auch ›Saftgeneral‹ genannt, weil er dafür sorgte, dass seine Männer einen vitaminreichen Saft erhielten, der zweifache Träger des Mannerheim-Kreuzes Aaro Pajari …«
Ratamo unterbrach Sutela: »Was genau hat dein Vater beruflich gemacht?«
»Er hat sein ganzes Leben im Innenministerium verbracht, die Geschichte des Krieges war für ihn nur ein leidenschaftliches Hobby. Oder eher ein Spleen … eine Zwangsvorstellung. Ich muss gestehen, dass es ihm gelungen ist, auch mich mit dieser Krankheit zu infizieren, also dem leidenschaftlichen Interesse für die Geschichte.« Sutela hörte sich wütend an.
»Was hat dein Vater selbst im Krieg gemacht, wo hat er gedient?«, fragte Ratamo neugierig.
»Vater war vermutlich ein ganz normaler gemeiner Soldat. Über seine eigenen Kriegserlebnisse hat er nicht viel geredet. Wahrscheinlich hat er sich ihretwegen geschämt, was weiß ich … Aber jetzt müssen wir an die Arbeit gehen, es braucht seine Zeit, das alles durchzusehen«, sagte er und wies auf die Papier- und Bücherhaufen auf dem Fußboden.
Ratamo betrachtete die eingerahmten Karten der nach dem Krieg von Finnland abgetretenen Gebiete: die Karelische Landenge, Ladoga-Karelien, Salla, Kuusamo,
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