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Arto Ratamo 7: Der Finne

Arto Ratamo 7: Der Finne

Titel: Arto Ratamo 7: Der Finne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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Paula.

22
    Helsinki, Donnerstag, 10. August
    Eine junge Frau im engen Minirock spazierte den Sandweg der Esplanade entlang und schleckte ein Eis, dabei fiel ihr die Sonnenbrille herunter, sie bückte sich in Richtung des Mannes auf der Parkbank und bot ihm so versehentlich einen tiefen Einblick in ihr freizügiges Dekolleté. Beim Aufrichten bemerkte sie den starren Blick des kahlköpfigen Mannes und zuckte zusammen, als sie sein von dunkelroten Flecken übersätes Gesicht sah.
    Der Mann wandte sich mit gleichgültiger Miene ab, das Mädchen sollte sich ruhig als Geschenk Gottes für alle männlichen Wesen betrachten. Wenn sich einem Menschen genügend Bilder von Toten eingeprägt hatten, dann kam ihm das üppige Äußere der Lebenden ziemlich unwichtig vor. Außerdem war er daran gewöhnt, dass sein Anblick die Leute verwirrte. Er machte sich nicht die Mühe, die ungeschriebenen sozialen Regeln des zwischenmenschlichen Umgangs einzuhalten, dieses höfliche Lächeln, hochgezogene Augenbrauen als Zeichen des Interesses, Wehklagen als Ausdruck eines gespielten Mitgefühls oder die ständigen Wünsche für einen guten Tag. Und wenn sein unfreundliches Benehmen die Menschen nicht vertrieb, dann schaffte das sein Aussehen garantiert. Sein Kopf war kahl, spitz zulaufend und schmal, und sein Gesicht verzierten angeborene Geschwülste der Blutgefäße – Feuermale. Dank des augenförmigen Males auf dem linken Backenknochen hatte er in der Armee den Spitznamen »Flunder« bekommen. Direkt ins Gesicht sagte ihm das allerdings niemand.Selbst seine Auftraggeber legten in der Regel keinen Wert darauf, ihn kennenzulernen, dafür sorgte schon sein Ruf: Seine brutalsten Taten widerten sogar jene an, die Morde in Auftrag gaben.
    Die Sonne tauchte hinter der Pohjoisesplanadi auf, und die »Flunder« rückte ans andere Ende der Bank in den Schatten. Er trug im Sommer ganz leichte Kleidung und mied das Sonnenlicht. Da er zu wenig Schweißdrüsen besaß, funktionierte das Wärmeregulierungssystem seines Körpers so schlecht, dass Hitze seine Körpertemperatur gefährlich ansteigen ließ.
    Alles hatte sich damals innerhalb eines Tages geändert. Was er in Grosny gesehen und erlebt hatte, war die Ursache dafür, dass er sich aus einem gewöhnlichen Soldaten in etwas anderes verwandelt hatte, für das es keine Bezeichnung gab. Er rächte sich. Nicht an einer bestimmten Person, sondern gerecht verteilt an allen Menschen. Denn die ganze Welt trug die Schuld daran, was in Tschetschenien geschehen war. Sechseinhalb Milliarden Menschen könnte zwar selbst er nicht hinrichten, aber er tat sein Bestes. Er brachte jeden um, an jedem Ort und zu jeder Zeit. Geld nahm er für seine Dienste nur deshalb, weil man auch leben musste, und nur da er nicht wollte, dass seine Laufbahn vorzeitig zu Ende ging, achtete er darauf, nicht gefasst zu werden.
    Die »Flunder« warf die brennende Zigarettenkippe einem Mann, der die Esplanade entlangeilte, ans Hosenbein. Der Geschäftsmann blieb stehen, schaute ihn wütend an, ging aber dann weiter, als er den hasserfüllten Blick in dem fleckigen Gesicht sah. Die »Flunder« öffnete ihre Tasche, nahm einen großen Briefumschlag heraus und dachte daran, was der diesmalige Auftraggeber vor einer Weile am Telefon gesagt hatte: »Du kannst in den nächsten Tagen an die Arbeit gehen. Es wird mehrere Zielpersonen geben, die genaue Anzahl erfährst du später.«
    Er zog aus dem Umschlag einen Stapel Fotos heraus und betrachtete sie mit ausdrucksloser Miene. Den Namen jeder Zielperson hatte man mit Rotstift in die linke obere Ecke des Fotos geschrieben: Otto Forsman, Eerik Sutela, Arto Ratamo, Taru Otsamo. Dann vertiefte er sich in die Personenprofile, in denen die Vasallen des Auftraggebers auf mehreren Seiten alles Wissenswerte über jede Person zusammengetragen hatten.
    Am liebsten hätte er den Auftraggeber dieser Hinrichtungen ins Jenseits befördert, der Mann war der überheblichste Heuchler, der ihm je über den Weg gelaufen war. Niemand sonst hatte ihm gegenüber jemals solchen Schwachsinn von sich gegeben: »Du ähnelst einem lebenden Denkmal. Dein Gesicht ist derart ausdruckslos und deine Gestik so minimal, dass man fast deinen Puls prüfen möchte.« Machthaber hasste er am meisten, sowohl Popen, Politiker, Generale als auch Chefs von Unternehmen. Die begabtesten Menschen suchten sich immer Aufgaben, bei denen sie anderen Befehle erteilen konnten. Und die gewöhnlichen Menschen mussten mit den Folgen der

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