Arto Ratamo 7: Der Finne
siebziger Jahren ist er mit mir dort gewesen.«
»Wie ist es möglich, dass du das alles weißt?«, fragte Taru Otsamo und betrachtete Sutela prüfend.
»Ich habe schon als Kind von meinem Vater alle möglichen Geschichten gelernt, die mit den finnischen Königen zusammenhingen. Als hätte er damals schon gewusst, dass ich sie eines Tages brauchen würde.«
Taru Otsamo wirkte nun noch neugieriger. »Es gab doch aber in Finnland keine Könige, außer dem Väinö in der Zeit, als das Land unabhängig wurde.«
Sutela setzte seine Vorlesung fort. »Der hessische Prinz Friedrich Karl Ludwig Konstantin von Hessen-Kassel hätte ein guter König werden können, immerhin war er der Schwager des deutschen Kaisers Wilhelm II. Väinö I. war nur ein Spitzname, den ihm das Volk gegeben hatte. In demoffiziellen Krönungsdokument wurde als Herrschername des finnischen Königs die Übersetzung Fredrik Kaarle verwendet.«
»Er ist aber doch der einzige finnische König?«, fragte Taru, um sicher zu sein.
Sutela überlegte eine Weile: »Na ja, die offizielle Wahrheit ist, dass die Finnen und Esten in der Bronze- oder Eisenzeit das germanische Wort ›Kuningas‹ entlehnten, ihm aber eine neue Bedeutung gaben. Die damaligen Finnen bezeichneten mitunter ihre Anführer oder andere hochgeachtete Personen als Könige, doch die hatten ebenso wie die von ihnen beherrschten Territorien nichts mit den europäischen Monarchien des Mittelalters gemeinsam. Die finnischen Könige waren einfach nur lokale Häuptlinge und keine Herrscher über ausgedehnte Gebiete.« Er trank den Rest seines Kaffees aus und kaute am Brillenbügel.
»Es gibt aber auch andere Meinungen«, fuhr er fort. »Ei nige Forscher sind der Auffassung, dass die Sage
«Fundinn Noregr »
, die Snorri Sturluson irgendwann im dreizehnten Jahrhundert geschrieben hat, von dem finnischen König Thorri erzählt, der die Atlantikküste der skandinavischen Halbinsel eroberte und dort einen Staat schuf, den er nach seinem Sohn Norri ›Norwegen‹ nannte. Die Sagen Snorri Sturlusons werden auch so interpretiert, dass Finnland und Kainuu, historisch Kvenland, eine Art Basiskönigreich für alle nordischen Länder darstellten, von dem aus die Königshäuser von Dänemark und Norwegen gegründet wurden und aus dem auch Herrscher des schwedischen Hofes kamen. Nach dieser Theorie stammen die schwedischen Könige beispielsweise vom finnischen König Snaer Vanha ab, dessen Tochter der schwedische König Vanlande heiratete.«
Ratamo lachte. »Wie ist es dann möglich, dass von all dem in den finnischen Schulen kein Wort erwähnt wird?«
»Dafür finden sich viele Gründe«, erwiderte Sutela undwandte sich Ratamo zu. »Seit der Zeit der finnischen Königreiche sind schon über tausend Jahre vergangen, vielleicht sogar zweitausend Jahre, und die Schweden wollten über Jahrhunderte die Möglichkeit nicht eingestehen, dass ihr Vasallenstaat eine große Vergangenheit besaß. Eine schwedische Chronik aus dem zwölften Jahrhundert berichtet immerhin, dass die Karelier die Hauptstadt Schwedens eroberten und zerstörten.«
Ratamo schüttelte den Kopf. »Das klingt als Beweis ziemlich dürftig.«
»Eines jedenfalls kann als sicher angenommen werden.« Sutelas Stimme wurde lauter. »Die angesehensten Männer Nordeuropas im frühen Mittelalter, Harald Schönhaar, der Norwegen vereinte, der normannische Herzog Wilhelm, der England eroberte, und viele andere, waren damals ausgesprochen stolz darauf, dass sie ihrer Ansicht nach direkt von Fornjotr abstammten, einem König Finnlands und Kainuus. Irgendeine Erklärung muss es ja dafür geben.«
Ratamo hatte allmählich genug von Sutelas Geschichten. »Und selbst wenn das ›Schwert des Marschalls‹ auf dem nächsten Burgberg gefunden würde – man hat uns die Dokumente schon zweimal weggenommen, und das wird auch dort passieren. Wer hat uns diesen Brief überbringen lassen und warum?« Er klopfte mit dem Zeigefinger auf die Blätter, die auf dem Tisch lagen. »Natürlich hat man uns das in der Hoffnung übergeben, dass du die Angreifer auch noch zum dritten Versteck führst. Mit moderner Technik ist es ein Kinderspiel, Menschen zu folgen.«
Das erste Mal an diesem Morgen schien sich Taru Otsamo für etwas zu begeistern. »Wenn Eerik nun mal der Einzige ist, der die Hinweise in diesen Briefen interpretieren kann, dann brauchen wir doch einfach nur zu verschwinden«, sagte sie und schaute abwechselnd Ratamo und Sutela an, dachte dabei aber nur an
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