Arto Ratamo 7: Der Finne
Ratamo nickte in Richtung Grill.
Ketonen warf den leeren Saftbehälter in den Kamin, holte vom Küchentisch seine Tasche, öffnete die Schlösser und suchte das richtige Blatt. »Forsman kam 1968 in Behandlung, Eerik Sutela wurde ein Jahr später geboren, und Eerika Sutela verließ ihre Familie 1970.«
»Du könntest dich doch mit der Mutter Sutelas treffen«, schlug Ratamo vor.
Ketonen lachte kurz und schob die Hände unter die Hosenträger. »Ich bin Rentner. Und im Sommerurlaub.«
»Urlaub habe ich eigentlich auch«, erwiderte Ratamo unwirsch. »Oder hätte ich, wenn du mir nicht dazwischengekommen wärst und diese Geschichte mit Sutela.«
Betreten blätterte Ketonen wieder in seinen Unterlagen. »Eerika Sutela wohnt anscheinend in den Schären von Turunmaa in Taalintehdas. Ich könnte dort mal auf einen Sprung vorbeischauen, da ich ja ein alter Bekannter von Otto bin.«
»Und unser Professor? Hast du etwas Neues über Eerik Sutela herausbekommen?« Ratamo hörte sich schon nicht mehr so verärgert an.
»Vor einem Jahr hat er für seinen Schwiegervater gearbeitet, also für den Chef der wissenschaftlichen und technischen Abteilung des britischen Nachrichtendienstes. Aus irgendeinem Grund hat Derek Atkins ihn nach Kroatien in die Nähe von Vukovar geschickt, um dort den Fundort der Leiche eines im Bosnienkrieg umgekommenen Briten zu untersuchen.«
»Warum hat man gerade Sutela dahin geschickt? Das kommt mir ziemlich eigenartig vor. In England müssen sich reihenweise Experten für forensische Archäologie finden, die viel erfahrener als Sutela sind.«
Im selben Augenblick rief Marketta vom Ufer und befahl Ketonen, Kaffee zu kochen. Gehorsam stand er auf, aber auf dem Weg in die Küche fiel ihm etwas ein. Er holte aus der Tasche seiner Trainingshose ein zerknittertes Stück Papier und schwenkte es eifrig in der Hand.
»Wärst du so nett und würdest diesen V-5-Wettschein am Kiosk abgeben. Du, das ist ein wertvolles Stück Papier. ›Na senlänge ‹ wird morgen in Seinäjoki nach längerer Pause in der Startbox stehen, aber ich kenne das Pferd. In der Regel bringt Jaska von unserem Nachbarn die Scheine weg, aber der hatte heute früh so einen Kater, dass bei dem nur ein Hechtblinker mit drei Haken drinbleibt.«
27
Helsinki, Freitag, 11. August
Otto Forsman lag im zugemauerten begehbaren Kleiderschrank auf dem Fußboden und drückte ein Ohr an die Wand, obwohl er in der Wohnung keinen Laut gehört hatte, seit die russischen Eindringlinge verschwunden waren. Alle Muskeln taten ihm weh, er harrte jetzt schon über vierundzwanzig Stunden fast unbeweglich in diesem engen und fensterlosen Kabuff aus. Der Behälter des Insulin-Pens war noch halb voll, und die Fruchtzuckerpastillen und das Knäckebrot würden auch für mehrere Tage reichen, aber sein Wasser war alle. Und der üble Gestank des Urineimers stach ihm in die Nase.
Doch er wagte es nicht, sein Versteck zu verlassen. Hatten die Russen erkannt, dass es seine Wohnung war? Sie mussten ja bemerkt haben, dass alle Dinge auf den Millimeter genau ihren Platz hatten. Und wer benutzte schon zu seinem Vergnügen schwarze Vorhänge? Wenigstens das Buch mit der Blindenschrift hatte er noch mitnehmen können. Er fürchtete, die Russen hatten in dem Zimmer alles Mögliche installiert: Bewegungsmelder, Überwachungskameras, Abhörgeräte … Doch er musste bald Wasser holen, die Zunge klebte am Gaumen und schmerzte, wenn er sie lösen wollte. Und eine Dusche täte auch gut, er empfand seinen eigenen Geruch schon als widerlich. Er war für so etwas einfach zu alt, viel zu alt.
Eerik hatte das »Schwert des Marschalls« noch nicht gefunden, da war er sich ganz sicher. Sein Sohn konnte es zeitlich nicht geschafft haben, schon alle von ihm hinterlassenenHinweise ausfindig zu machen. Vielleicht den ersten und den zweiten, möglicherweise auch den dritten, aber auf keinen Fall alle. Wie würde es Eerik ergehen, und was würde mit dem Dokument geschehen? Das »Schwert des Marschalls« würde nur der finden, der die Hinweise in all seinen versteckten Briefen interpretieren konnte, und das vermochte allein Eerik. Jeder Brief hatte seinen Zweck: Der Hinweis von Jäniskoski sollte Eriks Vertrauen stärken, dass dieses »Schwert des Marschalls« tatsächlich existierte, und ihn warnen, dass auch andere das Dokument an sich bringen wollten. Der Brief von Rapola sollte seinem Sohn klarmachen, dass nur er die Hinweise interpretieren konnte und dass sie auf Berichte über die
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