Arto Ratamo 7: Der Finne
starrte neidisch auf die riesige Portion, die Eerik Sutela auf seinen Teller gepackt hatte.
Nelli versuchte hartnäckig und theatralisch mit ihrer Gabel eine Erbse zu fangen, aber die kleine Kugel ließ sich nicht aufspießen, sosehr das Mädchen auch drauflosstach. Schließlich hatte Ratamo genug von der Darbietung seiner Tochter, er langte auf Nellis Teller, drückte die Erbse mit der Gabel platt und zeigte stolz seine Beute.
»Das war ja leicht, weil ich sie schon müde gemacht habe«, witzelte Nelli.
Das sommerliche Essen schmeckte allen, und allmählich wurde die Atmosphäre entspannter. Die Tischgesellschaft unterhielt sich zunächst lange über die Geschichte und Eerik Sutelas Arbeit an der Londoner Universität, und dann ließ man sich darüber aus, wie schwierig es für die junge, nette und gut aussehende Taru Otsamo sein musste, in der Einöde Lapplands eine Herde von Industriemanagern im mittleren Alter zu hüten, die ihren Ehefrauen mal entkommen waren. Keiner sprach ein Wort über das »Schwert des Marschalls« oder die Ereignisse der letzten Tage.
Ratamo stieß seine Gabel zunächst in ein Stück Räucherfisch, dann in eine Kartoffel von der Größe eines Wachteleis und krönte den Happen mit einem Butterklümpchen. Er bewunderte die Seenlandschaft, die so schön war wie auf einer Ansichtskarte, und dachte, wie selten man doch dazukam, solche Tage wahrhaftig zu genießen.
Ketonen, der seinen Salat gegessen hatte, beobachtete verblüfft, was für einen tierischen Appetit Sutela entwickelte. Wo mochte dieser dürre lange Lulatsch all das Essen speichern. Doch dann hatte er genug vom Zuschauen. »Arto.Wir wollten ja kurz etwas besprechen«, sagte er, nickte in Richtung Haus und stand auf.
Wenig später saß Ratamo im Schaukelstuhl am Fenster des Blockhauses und verfolgte eine Möwe, die sich ins Wasser stürzte. Ketonen holte sich einen Gefilus-Energiedrink und für Ratamo ein Bier. »Ilona ist anscheinend immer noch dort in Italien?«, fragte Ketonen.
Ratamo antwortete nicht. Er wurde nervös, als er bemerkte, dass seine Gedanken öfter um Riitta Kuurma kreisten als um Ilona.
Ketonen wirkte verlegen. »Ich habe offen gesagt wegen dieser Geschichte mit Forsman ein schlechtes Gewissen. Sie scheint länger zu dauern, als man annehmen konnte. Es ist doch wohl alles in Ordnung?«
»Der Blutdruck wird mit Tabletten behandelt, und Kautabak habe ich während des ganzen Urlaubs nicht ein einziges Mal genommen«, antwortete Ratamo stolz. Von seiner Schlaflosigkeit hatte er nicht einmal Ketonen erzählt.
Plötzlich hellte sich Ketonens Miene auf. »Dieser Freund von Nelli war übrigens hier zu Besuch. Die Eltern des Schwiegersohnkandidaten haben angeblich ein Ferienhaus einen Kilometer von hier. Ein resoluter junger Mann, wirklich. Er heißt Jere.«
Jetzt wurde Ratamo klar, warum Nelli so daran interessiert gewesen war, eine ganze Woche in Markettas Hütte Ferien zu machen. Das ärgerte ihn maßlos. Langsam hatte er Ketonens Geschichten satt.
»Hast du etwas Neues über Forsman oder Sutela ausgekundschaftet?«, fragte Ratamo, trank aus seiner Bierflasche und starrte auf die Gesellschaft, die am Ufer saß und speiste und über irgendetwas lachte.
»Ich habe nach deinem letzten Anruf seit langer Zeit wieder einmal meine alten Beziehungen genutzt«, berichtete Ketonen, und es hörte sich so an, als hätte er etwas Verwerflichesgetan. »Otto Forsman wurde in den sechziger Jahren wegen psychischer Probleme ins Krankenhaus Lapinlahti gebracht. Er litt unter Verfolgungswahn, aber die Behandlung mit Medikamenten schlug dem Vernehmen nach so gut an, dass er nach einigen Tagen wieder nach Hause konnte.«
Ratamos Neugier war geweckt. »Wie hat sich dieser Verfolgungswahn geäußert?«
»Otto hat damals ähnliche Geschichten wie in dem Brief aus Jäniskoski erzählt. Er hat behauptet, große Geheimnisse über die Geschichte Finnlands zu kennen, und fürchtete sich vor russischen Killern.«
Ratamo schüttelte den Kopf. »Es kann sehr wohl sein, dass Forsman verwirrt ist, aber auch das erklärt nicht alles, was uns in den letzten Tagen passiert ist. Wer hat die Briefe von Jäniskoski und Rapola gestohlen? Irgendjemand glaubt Forsmans Geschichten anscheinend.«
»Ärgerlich, dass ich niemanden erreicht habe, der Forsman in den sechziger Jahren wirklich gut gekannt hat. Oder irgendwann später.« Ketonen kostete sein Gefilus-Getränk mit Pfirsichgeschmack und grinste.
»Und Eerika Sutela, die Mutter von Eerik?«
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