Arto Ratamo 7: Der Finne
finnischen Könige verwiesen.
Hatte er Eerik einer zu großen Gefahr ausgesetzt? Die bedrückenden Gedanken ließen Forsman nach Luft schnappen, die Wände rückten näher, er hatte Angst, in Panik zu geraten. Er musste aufhören, sich mit sich selbst und seinen Bedürfnissen zu beschäftigen, und stattdessen an etwas Interessantes denken … An die Tagesbefehle des Oberbefehlshabers. In welchem von ihnen wurde dem Feind am wortgewaltigsten die Stirn geboten? Forsman entschied sich für seinen alten Favoriten, für den Befehl, den Mannerheim im Juni 1941 zum Beginn des Fortsetzungskrieges erlassen hatte.
»Finnische Soldaten! Unser ehrenvoller Winterkrieg endete mit einem bitteren Frieden. Trotz des Friedensschlusses hat der Feind unser Land zum Ziel seiner unverschämten Drohungen und ständigen Erpressungen gemacht, was zusammen mit der kriminellen Agitation zur Zerschlagung unserer Einigkeit beweist, dass der Feind von Anfang an gar keinen dauerhaften Frieden beabsichtigt hat. Der geschlossene Frieden war nur ein Zwischenfrieden, der jetzt zu Ende gegangen ist.
Ihr kennt den Feind. Ihr kennt sein ständiges Ziel, das in der Vernichtung unserer Heimat, unseres Glaubens und unseres Vaterlandes und in der Versklavung unseres Volkes besteht. Dieser Feind und diese Bedrohung stehen jetzt an unseren Grenzen. Ohne Anlass hat er unser friedlich lebendes Volk frech überfallen und an verschiedenen Orten unseres Landes seine Bomben abgeworfen. Die Zukunft des Vaterlandes erfordert von Euch nun neue Taten.
Ich rufe euch zum heiligen Krieg gemeinsam mit mir gegen den Feind unserer Nation. Die Gefallenen erheben sich aus ihren sommerlichen Gräbern und stehen wieder neben uns, heute, da wir, um Finnlands Zukunft zu sichern, an der Seite der mächtigen Streitkräfte Deutschlands und als deren Waffengefährten fest in unserer Überzeugung in den Kreuzzug gegen unseren Feind ziehen. Waffenbrüder! Folgt mir noch ein letztes Mal – jetzt, da sich das Volk Kareliens wieder erhebt und für Finnland ein neuer Morgen anbricht.
Mannerheim.»
»Ich rufe euch zum heiligen Krieg gemeinsam mit mir … in dem Kreuzzug gegen unseren Feind.«
Forsman genoss das Pathos des Tagesbefehls und die Emotionen in dem Text. Es erschien unglaublich, dass der Verfasser des Tagesbefehls vor über sechzig Jahren fast genau dieselben Worte verwendet hatte, mit denen sich heute die Terroristen und die USA beharkten. Auch das Gedächtnis der Finnen war auf tragikomische Weise kurz.
Urplötzlich klapperte der Briefschlitz. Forsman lag angespannt da, drückte sein Ohr noch fester an die Wand und hörte ein Rascheln, als etwas auf den Fußabtreter fiel. Oder bildete er sich das nur ein? Die Verteiler von Reklame rannten meist in einem Zuge von einem Stockwerk zum anderen, und die Post war auch schon ausgetragen. Versuchte jemand, ihn in Bewegung zu setzen, aus seinemLoch herauszulocken? Sollte er es wagen, an die Tür zu gehen? Vielleicht hörten die Russen das Zimmer ab, moderne Geräte konnten selbst das leiseste Geräusch registrieren.
Forsmans Gedankengang brach ab, als an der Tür ein kurzes Poltern zu hören war und dann eilige Schritte, die sich schnell entfernten und schließlich ganz verklangen. Er dachte angestrengt nach: Konnte es sein, dass noch jemand anders als die Russen etwas in seiner Wohnung suchte? Hatte er etwas vergessen? Am meisten hasste er am Alter das nachlassende Gedächtnis.
Den Durst spürte er nun schon als körperlichen Schmerz, als brennendes Verlangen, das unwiderstehlicher war als je zuvor. In ein oder zwei Stunden müsste er den Kleiderschrank sowieso verlassen.
Forsman traf seine Entscheidung. Er stand auf und hätte beinahe laut geschrien, so sehr schmerzte sein Rücken. Es stach in den Oberschenkeln, und sein Genick war ganz steif. Er massierte seine Beine eine Weile und fasste dann vorsichtig nach dem Griff an der Schrankwand. Lautlos schlüpfte er in den Kleiderschrank, öffnete die Tür einen Spalt und lauschte. In der Wohnung befand sich niemand, das war sicher. Er schlich gebeugt zur Wohnungstür, tastete den Fußabtreter ab, fand ein Stück Papier und spürte verdutzt die Blindenschrift.
Der FSB, der Geheimdienst der Russischen Förderation, hat Ihr Versteck schon gefunden, genau wie wir. Auch Ihr Sohn ist in Gefahr: Einer seiner beiden Reisegefährten verrät Informationen und wird den FSB zum »Schwert des Marschalls« führen. Wenn Sie zur Kooperation bereit sind, können wir Ihnen helfen
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