Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
und auf dem Fluß hatten dicht an dicht die Masten der Galeeren gestanden. Jetzt war es eine Geisterstadt. Aelle kam mit mir zusammen nach London. Ich hatte ihn einen halben Tagesmarsch nördlich der Stadt entdeckt. Er hatte in einem römischen Fort Zuflucht gefunden, wo er ein neues Heer aufzustellen versuchte. Anfangs mißtraute er meiner Nachricht. Er schrie mich an, beschuldigte uns, ihn mit Hexerei besiegen zu wollen, drohte sogar, mich und meine Eskorte zu töten; aber ich war so vernünftig gewesen, geduldig abzuwarten, bis sich sein Zorn legte, und nach einer Weile beruhigte er sich. Cerdics Dolch warf er zornentbrannt von sich, freute sich aber, sein dickes Bärenfell
zurückzubekommen. Ich glaube nicht, daß ich mich je in ernsthafter Gefahr befand, denn ich spürte, daß er mich mochte. Als sein Zorn verraucht war, legte er mir tatsächlich den schweren Arm um die Schultern und ging mit mir auf den Wällen auf und ab. »Was will Arthur wirklich?« fragte er mich.
»Frieden, Lord König.« Das Gewicht seines Armes tat meiner verletzten Schulter weh, aber ich wagte nicht zu protestieren.
»Frieden!« Er spie das Wort heraus wie einen Bissen fauliges Fleisch, aber ohne jene Verachtung, die er bei Arthurs Friedensangebot vor Lugg Vale zur Schau getragen hatte. Damals war Aelle stärker gewesen und konnte es sich leisten, einen höheren Preis zu fordern. Jetzt war er gedemütigt worden und wußte es. »Wir Sachsen«, sagte er, »sind nicht für den Frieden geschaffen. Wir nähren uns vom Getreide unserer Feinde, wir kleiden uns in ihre Wolle, wir vergnügen uns mit ihren Weibern. Was hätte ein Frieden uns zu bieten?«
»Die Chance, Eure Stärke zurückzugewinnen, Lord König, sonst wird Cerdic sich von Eurem Getreide ernähren und sich in Eure Wolle kleiden.«
Aelle grinste. »Und die Weiber würde er ebenfalls wollen.«
Er hatte den Arm von meiner Schulter genommen und blickte nordwärts über die Felder. »Ich werde Land abtreten müssen«, knurrte er mißmutig.
»Aber wenn Ihr den Krieg wählt, Lord König«, gab ich zu bedenken, »wird der Preis höher sein. Ihr werdet Arthur und Cerdic gegen Euch haben und letztlich vielleicht sogar ganz ohne Land dastehen – bis auf das Gras auf Eurem Grab.«
Er wandte sich um und warf mir einen listigen Blick zu.
»Arthur will den Frieden nur, damit ich für ihn gegen Cerdic kämpfe.«
»Selbstverständlich, Lord König«, antwortete ich. Er lachte über meine Aufrichtigkeit. »Und wenn ich nicht nach London mitkomme«, fuhr er fort, »werdet Ihr mich wie einen Hund jagen.«
»Wie einen mächtigen Keiler, Lord König, dessen Hauer noch gefährlich scharf sind.«
»Ihr redet, wie Ihr kämpft, Derfel. Also gut.« Er befahl seinen Zauberern, einen Umschlag aus Moos und Spinnweben zu machen, den sie mir auf die verletzte Schulter legten, während er Rat hielt. Die Beratung dauerte nicht lange, denn Aelle war sich im klaren darüber, daß er kaum eine Wahl hatte. Also marschierte ich am folgenden Morgen die römische Straße entlang, die in die Stadt führte. Er bestand darauf, eine Eskorte von sechzig Speerkämpfern mitzunehmen. »Ihr mögt Cerdic trauen«, sagte er zu mir, »aber er hat noch nie ein Versprechen gegeben, das er auch gehalten hat. Sagt das Arthur.«
»Sagt Ihr es ihm, Lord König.«
In der Nacht vor den Verhandlungen mit Cerdic trafen sich Aelle und Arthur in aller Heimlichkeit und diskutierten über ihren eigenen, separaten Frieden. Aelle gab eine Menge auf. Er gab die weiten Landstriche an seiner Westgrenze auf und erklärte sich einverstanden, das gesamte Gold zurückzugeben, das Arthur ihm im Jahr zuvor gebracht hatte, und darüber hinaus noch etliches Gold mehr. Dafür sicherte Arthur ihm vier ganze Jahre des Friedens zu sowie seine Unterstützung, falls Cerdic am folgenden Tag nicht in die Bedingungen einwilligte. Als der Friede geschlossen war, umarmten sie sich; doch als wir später zu unserem Lager vor der Westmauer der Stadt zurückkehrten, schüttelte Arthur bedrückt den Kopf. »Man sollte einem Feind niemals von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten«, riet er mir, »jedenfalls nicht, wenn man weiß, daß man ihn eines Tages vernichten muß. Entweder das, oder die Sachsen müssen sich unserer Herrschaft beugen, und das werden sie niemals tun. Niemals.«
»Vielleicht doch.«
Er schüttelte den Kopf. »Sachsen und Briten, Derfel, passen nicht zusammen.«
»Ich passe zu Euch, Lord«, widersprach ich.
Er lachte. »Aber wenn Eure
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