Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
Merlin vorausgesagt hatte, an der Grenze zwischen Dumnonia und Lancelots neuem Belgenreich lag. Da die Villa auf einer Anhöhe über einer schmalen Meeresbucht erbaut worden war, bezeichnete Guinevere sie als ihren Seepalast. Von einem Schwarm Bauarbeitern ließ sie die Villa renovieren und mit all den Statuen ausstatten, die zuvor Lindinis geschmückt hatten. Selbst den Mosaikboden der Eingangshalle von Lindinis ließ sie hinüberschaffen. Eine Zeitlang machte sich Arthur Sorgen, weil der Seepalast gefährlich nah an Cerdics Land lag; aber Guinevere behauptete, der in London ausgehandelte Frieden werde halten, und als Arthur merkte, wie sehr sie die Villa liebte, gab er nach. Ihm selbst war es gleichgültig, welchen Ort er als sein Zuhause bezeichnete, denn er war nur selten daheim. Er war lieber unterwegs, um irgendeinem Winkel von Mordreds Königreich einen Besuch abzustatten.
Mordred bezog den ausgeplünderten Palast in Lindinis, und da Ceinwyn und ich seine Vormunde waren, wohnten auch wir dort, und mit uns sechzig Speerkämpfer, zehn Reiter, die Botendienste verrichteten, sechzehn Küchenmägde und achtundzwanzig Haussklaven. Wir hatten einen Hausverwalter, einen Haushofmeister, einen Barden, zwei Jäger, einen Metbrauer, einen Falkner, einen Medikus, einen Torwächter, einen Kerzenmacher und sechs Köche, die allesamt wiederum Sklaven hatten; und außer diesen Haussklaven gab es noch eine kleine Armee anderer Sklaven, die den Boden bearbeiteten, die Bäume stutzten und die Gräben sauberhielten. Eine richtige kleine Stadt wuchs um den Palast herum, in der Töpfer, Schuhmacher und Schmiede wohnten, kurzum Handwerker, die durch uns zu Reichtum gelangten.
Es schien alles so weit entfernt von Cwm Isaf. Jetzt schliefen wir in einer gefliesten Kammer mit glatt verputzten Wänden und säulengerahmten Türen. Die Mahlzeiten nahmen wir in einer Speisehalle ein, in der einhundert Mann Platz gehabt hätten; aber wir ließen sie oft genug leerstehen und aßen in einer kleinen Kammer direkt neben den Küchen, denn ich konnte es nicht ausstehen, wenn Speisen kalt aufgetragen wurden, die heiß sein sollten. Wenn es regnete, konnten wir in den überdachten Arkaden des äußeren Hofs lustwandeln, so daß wir im Trockenen blieben, und wenn die Sonne im Sommer auf die Fliesen brannte, gab es im inneren Hof ein von einer Quelle gespeistes Becken, in dem wir schwimmen konnten. Nichts von alldem gehörte natürlich uns; der Palast mit seinen weiten Ländereien gebührte einem König, und alles gehörte dem sechsjährigen Mordred.
Ceinwyn war an Luxus gewöhnt, wenn auch nicht unbedingt in diesem verschwenderischen Maße, und die ständige Gegenwart von Sklaven und Dienern bereitete ihr niemals so großes Unbehagen wie mir. Sie ging ihren Pflichten mit einem routinierten Mangel an Aufhebens nach, der dem Palast Ruhe und Frieden bescherte. Es war Ceinwyn, welche die Diener befehligte, die Küchen beaufsichtigte und die Rechnungen prüfte, aber ich wußte, daß sie sich nach Cwm Isaf zurücksehnte; und auch jetzt noch saß sie abends zuweilen mit ihrer Spindel da und spann bei unseren Gesprächen Wolle. Häufig sprachen wir von Mordred. Wir hatten beide gehofft, daß die Berichte von seinen Missetaten übertrieben waren, aber das waren sie leider nicht, denn wenn es je ein boshaftes Kind gab, dann Mordred. Vom allerersten Augenblick an, da er mit einem Ochsenwagen von Culhwchs Halle bei Durnovaria bei uns eintraf, verhielt er sich ungebührlich. Und Gott möge mir helfen, ich lernte ihn hassen. Er war noch ein Kind, aber ich haßte ihn.
Der König war klein für sein Alter, von seinem Klumpfuß
abgesehen aber kräftig gebaut, mit harten Muskeln und wenig Fett. Sein Gesicht war sehr rund und wurde von einer seltsamen Knollennase verunstaltet, die das arme Kind häßlich machte. Sein dunkelbraunes Haar war naturgelockt und stand ihm in zwei dicken Büscheln zu beiden Seiten seines Mittelscheitels ab, weswegen die anderen Kinder in Lindinis ihn Bürstenkopf nannten, wenn auch nicht in seiner Gegenwart. Er hatte merkwürdig alte Augen, denn sie blickten schon damals, im Alter von sechs Jahren, lauernd und mißtrauisch drein und wurden auch nicht freundlicher, als sein Gesicht sich männlich verhärtete. Er war ein intelligentes Bürschchen, obwohl er sich hartnäckig weigerte, etwas zu lernen. Der Barde unseres Hauses, ein ernster junger Mann namens Pyrlig, der Mordred lesen, rechnen, singen und Harfe spielen, die Namen der Götter
Weitere Kostenlose Bücher