Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
wenn es gesagt ist, werdet Ihr mich nie wieder danach fragen!«
»Einmal reicht, Lady.«
Sie erhob sich und hinkte zum Fenster, von dem aus sie zum Tor hinaufblicken konnte. »Gott, der Allmächtige«, begann sie,
»der eine, wahre Gott, unser aller Vater, schickte Feuer vom Himmel herab. Ich war dort, daher weiß ich, was geschah. Er schickte den Blitz, der ins Strohdach der Halle fuhr und es in Brand setzte. Ich schrie, denn ich habe guten Grund, das Feuer zu fürchten. Ich kenne das Feuer. Ich bin ein Kind des Feuers. Das Feuer hat mein Leben zerstört, doch dies war ein anderes Feuer. Dies war das läuternde Feuer unseres Gottes, das Feuer, das meine Sünden hinwegbrannte. Das Feuer verbreitete sich vom Strohdach bis zum Turm und verbrannte alles. Ich beobachtete das Feuer und wäre sogar darin gestorben, wäre Sansum, der Gesegnete, Sansum, der Heilige, nicht gekommen, um mich in Sicherheit zu bringen.« Sie schlug das Kreuz und wandte sich an mich. »Das ist es, Narr«, fuhr sie mich an, »was damals geschehen ist.«
Dann war Sansum also in jener Nacht auf dem Tor gewesen?
Das war interessant, aber ich sprach sie nicht darauf an. Statt dessen sagte ich leise: »Das Feuer hat den Kessel mitnichten verschlungen, Lady. Merlin kam am Tag darauf, durchsuchte die Asche und fand kein Gold.«
»Narr!« spie Morgan mich durch den Mundschlitz ihrer Maske an. »Glaubt Ihr, Gottes Feuer brennt wie Eure schwächlichen Flammen? Der Kessel war ein Topf des Bösen, die widerlichste Pestbeule auf Gottes Erde. Des Teufels Pißpott war er, und unser Herrgott hat ihn vernichtet, Derfel, ganz und gar vernichtet! Ich hab’s mit diesem Auge gesehen!« Dabei tippte sie unter dem gesunden Auge auf ihre Maske. »Ich hab’
ihn brennen sehen, und es war ein greller, lodernder, zischender Kern im innersten Herzen des Feuers, es war eine Flamme wie die heißesten Höllenflammen, und ich hörte, wie die Dämonen vor Qual kreischten, als ihr Kessel in Rauch aufging. Gott hat ihn verbrannt! Hat ihn verbrannt und in die Hölle zurückgeschickt, wo er auch hingehört!« Sie hielt inne, und ich spürte, wie sich ihr flammenversehrtes, verunstaltetes Gesicht hinter der Maske schmerzhaft zu einem Lächeln verzog. »Er ist verschwunden, Derfel«, setzte sie ruhigeren Tones hinzu. »Und nun dürft auch Ihr verschwinden!«
Ich verließ sie, verließ das Heiligtum und stieg auf den Tor, wo ich die halb zerbrochene Wasserpforte aufstieß, die schief in ihrer Seilangel hing. Die schwarze Asche von Halle und Turm wurde von der Erde allmählich verschlungen, um sie herum aber stand mindestens ein Dutzend verdreckter Hütten, in denen Nimue und ihre Anhänger hausten. Diese Menschen waren die Unerwünschten unserer Welt: Krüppel und Bettler, Obdachlose und Verrückte, die sich von den Lebensmitteln ernährten, die Ceinwyn und ich allwöchentlich von Lindinis herüberschickten. Nimue behauptete, ihre Leute redeten mit den Göttern, doch alles, was ich jemals von ihnen vernahm, war irres Gekicher oder verzweifeltes Stöhnen. »Sie leugnet alles«, berichtete ich Nimue.
»Natürlich.«
»Ihr Gott habe alles niedergebrannt, sagt sie.«
»Ihr Gott könnte nicht mal ein weiches Ei kochen«, behauptete Nimue rachsüchtig. Sie war in den Jahren seit dem Verschwinden des Kessels, und seit Merlin sich sanft in sein Alter ergeben hatte, grauenhaft verkommen. Nimue war schmutzig geworden, verdreckt, mager und fast so verrückt wie damals, als ich sie von der Toteninsel gerettet hatte. Immer wieder begann sie zu zittern, immer wieder verzerrte sich ihr Gesicht zu unkontrollierten Grimassen. Ihr Goldauge hatte sie längst verkauft oder weggeworfen, statt dessen verdeckte sie die Höhle mit einer einfachen Lederklappe. Die ganze faszinierende Schönheit, die sie einstmals besessen hatte, verbarg sich jetzt unter einer Kruste von Dreck und Geschwüren, verbarg sich unter ihrem verfilzten, schwarzen Haarwust, der so abstoßend wirkte, daß sogar die Bauern, die kamen, um sich von ihr segnen oder heilen zu lassen, nicht selten vor ihrem Gestank zurückzuckten. Selbst ich, der ihr doch eidverschworen war und sie früher einmal geliebt hatte, konnte es kaum ertragen, in ihrer Nähe zu sein.
»Der Kessel lebt noch«, erklärte mir Nimue an jenem Tag.
»Das behauptet Merlin.«
»Und Merlin lebt auch noch, Derfel.« Sie legte mir ihre Hand mit den abgekauten Nägeln auf den Arm. »Er wartet, mehr nicht. Sammelt Kräfte.«
Wartet auf sein Totenfeuer, dachte ich,
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