Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
hatte sie einen Mann gefunden, der sich willig von ihren scharfsinnigen Ratschlägen leiten ließ und dessen Ehrgeiz sie mit all ihrer grimmigen Energie fördern konnte; doch für den Rest der Welt blieb sie die böse, bittere Frau hinter der einschüchternden Goldmaske. Sie lebte weiterhin in Ynys Wydryn, wenn auch nicht mehr auf Merlins Tor, sondern im Haus des Bischofs auf dem Gelände des Heiligtums, von dem aus sie den brandgeschwärzten Tor sehen konnte, wo ihre Feindin Nimue wohnte.
Nimue, jetzt ohne Merlins Schutz, war überzeugt, daß
Morgan die Kleinodien Britanniens gestohlen hatte. Soweit ich sehen konnte, stützte sich diese Überzeugung ausschließlich auf Nimues Haß auf Morgan. Nimue betrachtete sie als größte Verräterin Britanniens. Schließlich war Morgan die heidnische Priesterin, die sich von den Göttern abgewandt hatte, um Christin zu werden; deswegen spie Nimue, wann immer sie Morgan begegnete, heftig aus und schleuderte ihr Flüche entgegen, die Morgan umgehend erwiderte: heidnische Drohungen im Kampf gegen christliche Verdammnis. Sie würden niemals höflich miteinander umgehen können. Einmal stellte ich Morgan auf Nimues Drängen wegen des verlorenen Kessels zur Rede. Das war ein Jahr nach ihrer Vermählung, und obwohl ich inzwischen ein Lord war und zu den wohlhabendsten Männern Dumnonias zählte, hatte ich immer noch ein wenig Angst vor Morgan. In meiner Kinderzeit war sie eine Persönlichkeit mit ehrfurchtheischender Autorität und schreckenerregendem Äußeren gewesen und hatte den Tor mit übellauniger Barschheit und einem stets einsatzbereiten Stab regiert, mit dem wir allesamt bestraft wurden. Und selbst jetzt, nach so vielen Jahren, fand ich sie noch genauso einschüchternd wie damals.
Ich begegnete ihr in einem von Sansums neuen Gebäuden in Ynys Wydryn. Das größte, so groß wie eine königliche Festhalle, war die Schule, in der Dutzende von Priestern zu Missionaren getrimmt wurden. Diese Priester begannen ihre Ausbildung im Alter von sechs Jahren, wurden mit sechzehn zu Heiligen erklärt und anschließend auf Britanniens Straßen geschickt, um die Menschen zu bekehren. Auf meinen Reisen war ich diesen Fanatikern oft genug begegnet. Sie waren stets zu zweit und trugen nichts bei sich als einen kleinen Beutel und einen Stab. In ihrer Begleitung befanden sich nicht selten ganze Scharen von Frauen, die sich seltsamerweise zu diesen Missionaren hingezogen fühlten. Sie kannten keine Furcht. Jedesmal, wenn ich ihnen begegnete, forderten sie mich auf, ihren Gott zu leugnen, wenn ich das wage, und jedesmal erkannte ich die Existenz ihres Gottes höflich an, um anschließend zu verkünden, daß meine Götter ebenfalls lebten. Daraufhin schleuderten sie mir Flüche ins Gesicht, während ihre Weiber laut zu klagen begannen und mich mit Beleidigungen überschütteten. Einmal, als zwei dieser Fanatiker meine Töchter einschüchterten, ging ich mit dem Griffende meines Speers auf sie los, und ich muß zugeben, daß
ich zu hart zustieß; denn nach dem Streit gab es einen gebrochenen Schädel und ein zerschmettertes Handgelenk, und keins von beiden gehörte mir. Um zu beweisen, daß selbst die privilegiertesten Dumnonier nicht über dem Gesetz standen, verlangte Arthur, daß ich vor Gericht gestellt wurde, und so begab ich mich ins Gerichtsgebäude von Lindinis, wo ein christlicher Friedensrichter mich mit einem Bußgeld in Höhe der Hälfte meines Körpergewichts in Silber bestrafte.
»Auspeitschen hätte man Euch sollen!« Offensichtlich erinnerte Morgan sich an dieses Ereignis und fauchte mir ihr Urteil entgegen, als ich bei ihr vorgelassen wurde. »Bis aufs Blut. Öffentlich!«
»Ich denke, sogar Euch würde das heutzutage
Schwierigkeiten bereiten, Lady«, gab ich gelassen zurück.
»Gott würde mir die erforderliche Kraft verleihen«, zischte sie hinter ihrer neuen Goldmaske mit dem Christenkreuz hervor. Sie saß an einem Tisch, auf dem sich Pergamente und tintenbeschriebene Holzspantafeln türmten, denn sie leitete nicht nur Sansums Schule, sondern kontrollierte auch die Schatzkammern jeder einzelnen Kirche und jedes einzelnen Klosters von Nord-Dumnonia. Besonders stolz war sie jedoch auf ihre Gemeinschaft frommer Frauen, die in einer eigenen Halle, zu der die Männer keinen Zutritt hatten, psalmodierten und beteten. Während Morgan mich durchdringend von oben bis unten musterte, hörte ich die süßen Stimmen singen. Morgan gefiel offenbar nicht, was sie sah. »Wenn Ihr
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