Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
kommt, um wieder einmal Geld zu fordern«, fuhr sie mich an, »so bekommt Ihr keins. Nicht, bevor die ausstehenden Darlehen zurückgezahlt sind.«
»Soweit mir bekannt ist, gibt es keine ausstehenden Darlehen«, antwortete ich höflich.
»Unsinn!« Sie griff nach einer der Spantafeln und las mir eine fiktive Liste nicht zurückgezahlter Darlehen vor. Ich ließ sie ausreden und erklärte dann geduldig, daß der Kronrat nicht die Absicht hege, sich von der Kirche Geld zu leihen. »Und falls doch«, setzte ich hinzu, »hätte Euer Gemahl Euch das bestimmt längst mitgeteilt.«
»Ich hingegen bin sicher«, sagte sie, »daß ihr Heiden im Kronrat hinter dem Rücken des Heiligen Komplotte schmiedet.« Sie schniefte. »Wie geht’s meinem Bruder?«
»Er ist sehr beschäftigt, Lady.«
»Zu beschäftigt offenbar, um herzukommen und mich zu besuchen.«
»Und Ihr seid zu beschäftigt, um ihn zu besuchen«, konterte ich liebenswürdig.
»Ich? Nach Durnovaria reisen? Und dieser Hexe Guinevere gegenübertreten?« Schnell schlug sie das Kreuz, tauchte die Hand in eine Schale voll Wasser und machte abermals das Kreuzeszeichen. »Lieber würde ich zur Hölle fahren und Satan persönlich gegenübertreten«, zischte sie, »als dieser Isis-Hexe zu begegnen!« Unwillkürlich wollte sie ausspucken, um das Böse abzuwehren, besann sich dann aber und schlug statt dessen wieder das Kreuz. »Wißt Ihr, was die Isisriten verlangen?« fragte sie mich aufgebracht.
»Nein, Lady«, bekannte ich.
»Schmutz, Derfel, Schmutz! Isis ist das scharlachrote Weib!
Die Hure von Babylon. Es ist ein Teufelsglaube, Derfel. Sie wohnen einander bei, Mann und Frau.« Bei dieser grauenhaften Vorstellung erschauerte sie. »Reinster Schmutz!«
»Männern ist das Betreten des Tempels nicht gestattet, Lady«, wandte ich zu Guineveres Verteidigung ein. »Genau wie bei Eurer Frauenhalle.«
»Nicht gestattet?« Morgan lachte höhnisch. »Die kommen in der Nacht, Narr, der Ihr seid, und beten ihre schmutzige Göttin splitternackt an! Männer und Frauen gemeinsam, schwitzend wie die Säue! Glaubt Ihr, das wüßte ich nicht? Ich, die früher selbst eine Sünderin war? Wollt Ihr behaupten, mehr über heidnischen Glauben zu wissen als ich? Ich sage Euch, Derfel, sie wohnen einander bei in ihrem Schweiß, nackte Frau mit nacktem Mann. Isis und Osiris, Frau und Mann, und die Frau gibt dem Mann das Leben, und wie, Ihr Narr, glaubt Ihr wohl, daß das geschieht? Durch den schmutzigen Akt des Beischlafs natürlich, wie sonst!« Sie tauchte die Finger in die Wasserschale und schlug wieder das Kreuz, wobei ein Tropfen des geweihten Wassers auf der Stirnplatte ihrer Maske zurückblieb. »Ihr seid ein unwissender, gutgläubiger Narr«, fuhr sie mich an. Ich weigerte mich, den Streit fortzusetzen. Die verschiedenen Glaubensrichtungen beleidigten sich immer wieder auf diese Art. Viele Heiden warfen den Christen ein ähnliches Verhalten bei ihren sogenannten »Festen der Liebe«
vor, und viele Landbewohner glaubten, die Christen entführten, töteten und äßen Kinder. »Auch Arthur ist ein Narr«, grollte Morgan. »Weil er Guinevere vertraut.« Mit ihrem einen Auge warf sie mir einen unfreundlichen Blick zu. »Was also wollt Ihr von mir, Derfel, wenn es kein Geld ist?«
»Ich will wissen, Lady, was in der Nacht geschah, in der der Kessel verschwand.«
Sie lachte. Es war ein Echo ihres alten Lachens, der grausamkichernde Laut, der auf dem Tor stets Unheil verheißen hatte.
»Ihr elender, kleiner Narr!« schimpfte sie. »Auf diese Art meine Zeit zu verschwenden!« Damit kehrte sie zu ihrem Arbeitstisch zurück. Ich wartete, während sie Kerben in ihre Kerbhölzer schnitt oder Zeichen auf den Rand der Pergamentrollen machte und mich zu ignorieren versuchte.
»Immer noch hier, Ihr Narr?« fragte sie nach einer Weile.
»Immer noch hier, Lady«, gab ich zurück.
Sie drehte sich auf ihrem Schemel um. »Was wollt Ihr wissen? Hat Euch die boshafte kleine Hure vom Hügel geschickt?« Sie zeigte durchs Fenster zum Tor hinüber.
»Merlin schickt mich, Lady.« Das war natürlich gelogen. »Er interessiert sich für die Vergangenheit, aber seine Erinnerungen wandern.«
»Und bald werden sie in die Hölle wandern«, verkündete sie rachsüchtig. Dann richtete sie sich auf und dachte über meine Frage nach, bevor sie schließlich die Achseln zuckte. »Ich werde Euch sagen, was in jener Nacht geschah«, erklärte sie schließlich. »Aber ich werde es Euch nur einmal erzählen, und
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