Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
die unsichtbaren Götter bereitlagen, und boten Opfergaben für die Ernte des neuen Jahres. Neugeborene Lämmer waren die ersten Anzeichen für das erwachende Jahr, dann kam die Zeit des Pflügens und Säens, und an den alten, kahlen Bäumen sprossen frische grüne Knospen. Es war das erste neue Jahr von Mordreds Regierungszeit.
Diese Regierungszeit brachte ein paar Veränderungen. Mordred verlangte den Winterpalast seines Großvaters, und das überraschte niemanden; allerdings war ich überrascht, als Sansum den Palast in Lindinis für sich beanspruchte. Er stellte diese Forderung im Kronrat und behauptete, er brauche den geräumigen Palast für seine Schule und Morgans Gemeinschaft frommer Frauen; zudem wolle er in der Nähe der Kirche wohnen, die er auf dem Gipfel von Caer Cadarn errichten lasse. Mordred nickte zustimmend, und so wurden Ceinwyn und ich kurzerhand vertrieben. Da aber Ermids Halle leer stand, bezogen wir jenes nebelverhüllte Anwesen am See. Arthur erhob Einwände gegen den Plan, Sansum nach Lindinis hineinzulassen, und sprach sich auch gegen Sansums Forderung aus, die königliche Schatzkammer müsse für die Reparatur all der Schäden im Palast aufkommen, die, wie Sansum behauptete, durch zu viele ungezogene Kinder entstanden seien, aber Mordred wies Arthurs Einwände zurück. Das waren Mordreds einzige Entscheidungen, denn gewöhnlich überließ er es Arthur, die Angelegenheiten des Reichs zu regeln. Arthur war zwar nicht mehr Mordreds Protektor, inzwischen aber Ratsältester, und der König erschien selten bei den Kronratssitzungen, weil er lieber auf die Jagd ging. Es waren allerdings nicht immer Hirsche oder Wölfe, die er jagte, und Arthur und ich mußten immer wieder Gold in der Hütte eines Bauern abliefern, um den Mann für die Jungfräulichkeit seiner Tochter oder die Schande seiner Gemahlin zu entschädigen. Es war keine angenehme Aufgabe, aber ein Königreich, in dem so etwas nicht nötig war, konnte sich damals als wahrhaft glückliche Ausnahme betrachten. In jenem Sommer wurde Dian, unsere jüngste Tochter, krank. Sie litt an einem Fieber, das nicht weichen wollte, oder vielmehr immer wieder kam und ging, aber mit so großer Heftigkeit, daß wir dreimal dachten, sie sei tot. Dreimal hauchten ihr Merlins Tränke neues Leben ein, obwohl nichts, was der alte Mann unternahm, das Leiden wirklich zu beseitigen vermochte. Dian schien sich zu der lebhaftesten von unseren drei Töchtern zu entwickeln. Morwenna, die Älteste, war ein vernünftiges Mädchen, das ihre jüngeren Schwestern gern bemutterte und sich sehr für die Führung unseres Haushalts interessierte: Immer wieder stellte sie Fragen über die Küchen, die Röstteiche oder die Leinenfässer. Seren, der Stern, war unsere Schönheit. Sie hatte die zarte Schönheit ihrer Mutter geerbt, zu der sich ein nachdenkliches und bezauberndes Wesen gesellte. Stundenlang saß sie bei den Barden, lernte ihre Lieder und spielte ihre Harfen. Dian, behauptete Ceinwyn immer, sei dagegen ganz und gar meine Tochter. Dian kannte keine Furcht. Sie konnte mit Pfeil und Bogen schießen, liebte es zu reiten und verstand es schon im Alter von sechs Jahren, ein Coracle ebenso geschickt zu handhaben wie die Fischer auf dem See. Sie war im sechsten Lebensjahr, als das Fieber sie befiel, und wäre das Fieber nicht gewesen, wären wir vermutlich alle zusammen nach Powys gereist; denn einen Monat vor dem ersten Jahrestag von Mordreds Thronbesteigung verlangte der König auf einmal, daß Arthur und ich Cuneglas in dessen Reich aufsuchten. Mordred stellte diese Forderung anläßlich einer seiner seltenen Auftritte bei den Kronratssitzungen. Die Plötzlichkeit, mit der uns dieser Auftrag erteilt wurde, überraschte uns ebenso wie der Grund, den er für die Reise nannte, aber der König war fest entschlossen. Es gab natürlich noch einen verborgenen Grund, den aber zum damaligen Zeitpunkt weder Arthur noch ich erkannten, noch irgendein anderer aus dem Kronrat – bis auf Sansum, von dem die Idee ursprünglich stammte –, und wir alle brauchten ziemlich lange, um den Motiven des Mäuselords auf die Spur zu kommen. Auch gab es keinen offensichtlichen Anlaß für uns, dem Vorschlag des Königs mit Mißtrauen zu begegnen, denn er wirkte durchaus vernünftig, obwohl weder Arthur noch ich begriffen, warum wir beide nach Powys geschickt wurden.
Das Ganze entsprang einer uralten Geschichte. Norwenna, Mordreds Mutter, war von Gundleus, dem König von Siluria, ermordet
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