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Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst

Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst

Titel: Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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Schwingen dicht an der Wolfsrute an meinem Helm vorbei. Diese Eule war ein Zeichen, doch da ich nicht sagen konnte, ob es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, überfiel mich auf einmal Angst. Die Neugier hatte mich hergelockt, nun aber witterte ich Gefahr. Merlin würde mir die Erfüllung meines Herzenswunsches nicht umsonst anbieten, und das bedeutete, daß ich hier war, um eine Wahl zu treffen, und zwar eine Wahl, die ich, wie ich argwöhnte, nicht treffen wollte. Ja, ich fürchtete mich so sehr davor, daß ich fast kehrtgemacht und mich wieder ins Dunkel der Bäume zurückgezogen hätte, doch dann ließ mich das Pochen der Narbe in meiner linken Handfläche stehenbleiben. Diese Narbe hatte mir Nimue beigebracht, und immer wenn sie pochte, wußte ich, daß mir das Schicksal nicht gestatten würde, mich herauszuwinden. Ich war Nimue durch einen Eid verbunden. Ich konnte nicht umkehren.
    Es hatte aufgehört zu regnen, und die Wolkendecke riß auf. Ein kalter Wind blies durch die Baumwipfel, aber kein Regen prasselte mehr herab. Es war immer noch dunkel. Die Morgendämmerung konnte nicht mehr weit entfernt sein, aber bis jetzt zeigte sich noch keine Ahnung von Licht über den Bergen im Osten. Es gab nichts als bleiches Mondlicht, das sich über die Steine von Dolforwyns Königskreis ergoß und sie in der Dunkelheit in silbrige Silhouetten verwandelte. Ich ging auf den Steinkreis zu. Dabei kam mir das Klopfen meines Herzens lauter vor als das Geräusch meiner schweren Stiefel. Noch immer war kein Mensch zu sehen, und sekundenlang fragte ich mich, ob dies ein ausgeklügelter Scherz von Merlin sei; aber dann entdeckte ich inmitten des Steinkreises, dort, wo der Krönungsstein von Powys lag, einen Schimmer, der heller war als jeder Widerschein des dunstigen Mondlichts auf regenglänzenden Steinen.
    Mit klopfendem Herzen ging ich weiter. Als ich dann zwischen die Steine des Kreises trat, sah ich, daß das Mondlicht von einem Becher reflektiert wurde. Einem Silberbecher. Einem kleinen Silberbecher, der, wie ich entdeckte, als ich dicht an den Königstein herantrat, mit einer dunklen, mondbeschienenen Flüssigkeit gefüllt war.
    »Trink, Derfel!« sagte Nimue so leise, daß sie bei dem Rauschen des Windes in den Eichen kaum zu vernehmen war.
    »Trink!«
    Ich wandte mich um, suchte nach ihr, vermochte aber niemanden zu entdecken. Der Wind blähte meinen Mantel und raschelte in ein paar losen Farnbündeln des Hallendachs.
    »Trink, Derfel!« wiederholte Nimues Stimme. »Trink!«
    Ich blickte zum Himmel auf und betete, daß Lleullaw mich beschützen möge. Meine Linke, die jetzt schon schmerzhaft pochte, umklammerte Hywelbanes Heft. Ich wollte das tun, was am ungefährlichsten war, und das hieß, wie mir klar war, umkehren und in die Wärme von Arthurs Freundschaft zurückkehren; aber das Elend meines Herzens hatte mich hierher auf diesen kalten, kahlen Hügel geführt, und die Vorstellung, wie Lancelots Hand auf Ceinwyns schlankem Handgelenk ruhte, lenkte meinen Blick wieder auf den Becher. Ich nahm ihn, zögerte, dann trank ich ihn leer. Die Flüssigkeit schmeckte so bitter, daß es mich schüttelte, als ich alles getrunken hatte. Der ekelhafte Geschmack haftete in meinem Mund und meiner Kehle, während ich den Becher behutsam auf den Königstein zurückstellte.
    »Nimue?« rief ich fast flehend, aber es war nichts zu hören außer dem Wind hoch oben in den Bäumen.
    »Nimue!« rief ich abermals, denn inzwischen drehte sich mir der Kopf. Die Wolken rasten schwarz und grau dahin, der Mond zersplitterte in Nadeln aus silbrigem Licht, die vom fernen Fluß heraufgeschossen kamen und im tobenden Dunkel der sich krümmenden Bäume zerbrachen. »Nimue!« rief ich, als meine Knie nachgaben und in meinem Kopf gespenstische Träume wirbelten. Ich kniete neben dem Königstein, der plötzlich hoch wie ein Berg vor mir aufragte. Dann schlug ich mit so großer Wucht vornüber, daß ich mit dem Arm den leeren Becher wegfegte. Mir war übel, aber ich konnte mich nicht erbrechen, es kamen nur Träume, gräßliche Träume, kreischende Dämonen eines Alptraums, der in meinem Kopf dröhnte. Ich weinte, ich schwitzte, und meine Muskeln zuckten unkontrollierbar.
    Dann griffen Hände nach meinem Kopf. Der Helm wurde mir vom Kopf gerissen, und gleich darauf preßte sich eine Stirn gegen die meine. Es war eine kühle, weiße Stirn, und die Alpträume flatterten davon, um der Vision von einem langen, nackten, weißen Körper Raum zu machen,

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