Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
große Ziel in Merlins langem Leben war es, alle diese Kleinodien wieder zusammenzutragen, aber der Kessel war der größte Schatz. Mit dem Kessel, behauptete er, könne er die Götter lenken und die Christen vernichten, und deswegen kniete ich – mit einem bitteren Geschmack im Mund und einem vor Säure rebellierenden Magen – auf diesem nassen Hügel in Powys. »Meine Aufgabe«, sagte ich zu Merlin,
»meine Aufgabe ist es, gegen die Sachsen zu kämpfen.«
»Du Narr!« fuhr Merlin mich an. »Wenn wir die Kleinodien nicht zurückholen, ist der Krieg gegen die Sais verloren.«
»Das sieht Arthur anders.«
»Dann ist Arthur ein ebenso großer Narr wie du. Was spielen die Sachsen für eine Rolle, wenn unsere Götter uns verlassen haben?«
»Ich habe gelobt, Arthur zu dienen«, protestierte ich.
»Auch mir hast du Gehorsam geschworen.« Nimue hielt ihre Linke empor, um mir ihre Narbe zu zeigen, die haargenau der meinen glich.
»Aber ich will nicht, daß ein Mann die Dunkle Straße betritt, der nicht aus freiem Willen kommt«, sagte Merlin. »Du mußt wählen zwischen denjenigen, denen du verschworen bist, Derfel. Aber bei dieser Wahl kann ich dir helfen.«
Er nahm den Becher vom Königstein und legte an seine Stelle ein Häufchen abgenagte Rippen, die er aus Cuneglas’
Halle mitgebracht hatte. Dann kniete er nieder, nahm einen der Knochen heraus und legte ihn in die Mitte des Steins. »Das ist Arthur«, sagte er. »Das hier« – er griff nach einem zweiten Knochen – »ist Cuneglas. Von diesem« – er legte einen dritten Knochen so, daß er mit den ersten beiden ein Dreieck bildete –
»werden wir später sprechen. Das hier« – er legte einen vierten Knochen quer über eine der drei Ecken – »ist Tewdric von Gwent, dies ist Arthurs Bündnis mit Tewdric, und dies ist sein Bündnis mit Cuneglas.« So bildete er ein zweites Dreieck über dem ersten, bis die beiden annähernd einen sechszackigen Stern bildeten. »Das hier ist Elmet«, begann er die dritte Ebene, die parallel zur ersten verlief, »dies ist Siluria, und dieser Knochen« – er hielt den letzten empor – »ist das Bündnis all dieser Königreiche. Also.« Er lehnte sich zurück und deutete auf den wackligen Knochenturm auf dem Königstein. »Was du da siehst, Derfel, ist Arthurs sorgfältig ausgedachter Plan, aber ich sage dir, ich versichere dir, daß
dieser Plan ohne die Kleinodien fehlschlagen wird.«
Er verstummte. Ich starrte die neun Knochen an. An allen, ausgenommen den geheimnisvollen dritten Knochen, hingen noch Reste von Fleisch, Sehnen und Knorpeln. Nur der dritte Knochen war blankgeputzt und weiß. Sehr behutsam berührte ich ihn mit dem Finger, denn ich wollte das labile Gleichgewicht des kleinen Turms nicht stören. »Und was ist dieser dritte Knochen?« fragte ich Merlin.
Merlin lächelte. »Der dritte Knochen, Derfel«, sagte er, »ist die Vermählung von Lancelot und Ceinwyn.« Er legte eine kleine Pause ein. »Nimm ihn.«
Ich rührte mich nicht. Wenn ich den dritten Knochen nahm, würde ich Arthurs unsicheres Netz von Bündnissen zerstören, das seine beste, nein, seine einzige Hoffnung darstellte, die Sachsen zu besiegen.
Merlin grinste höhnisch, als ich zögerte; dann griff er sich den dritten Knochen, zog ihn aber nicht heraus. »Die Götter hassen die Ordnung«, fauchte er mich an. »Ordnung, Derfel, vernichtet die Götter, deswegen müssen sie die Ordnung vernichten.« Unvermittelt zog er den Knochen heraus, und das Knochenhäufchen fiel in sich zusammen. »Wenn Arthur Frieden in ganz Britannien schaffen will, Derfel«, sagte Merlin,
»muß er die Götter wieder einsetzen.« Er reichte mir den Knochen. »Nimm ihn.«
Ich rührte mich nicht.
»Es ist doch nur ein Häufchen Knochen«, sagte Merlin.
»Aber dieser Knochen, Derfel, steht für deinen
Herzenswunsch.« Er streckte mir den weißen Knochen entgegen. »Dieser Knochen ist Lancelots Vermählung mit Ceinwyn. Zerbrichst du ihn, Derfel, wird diese Vermählung nie stattfinden. Läßt du ihn aber ganz, Derfel, wird dein Feind deine Liebste zu sich ins Bett holen und sie so elend machen wie einen Hund.« Abermals streckte er mir den Knochen entgegen, und abermals weigerte ich mich, ihn zu ergreifen.
»Glaubst du vielleicht, die Liebe zu Ceinwyn steht dir nicht ins Gesicht geschrieben?« fragte mich Merlin spöttisch. »Nimm ihn! Denn ich, Merlin von Avalon, gewähre dir, Derfel, die Macht über diesen Knochen.«
Die Götter mögen mir beistehen, aber ich
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