Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
geblieben, und zu einer dieser uralten heiligen Stätten wanderten Issa und ich im grünen Dämmerlicht des Mittagswaldes.
Es war ein Druidenschrein, ein Eichenhain tief im dichten Wald. Das Laub über dem Schrein hatte noch keine Bronzefarbe angenommen, schon bald aber würden sich die Blätter verfärben und auf die niedrige Steinmauer fallen, die im Mittelpunkt des Hains einen Halbkreis bildete. In diese Mauer waren zwei Nischen gehauen worden, in denen zwei Menschenschädel standen. Früher hatte es auch in Dumnonia zahlreiche Orte dieser Art gegeben, und viele waren nach dem Abzug der Römer wiederhergestellt worden. Allzuoft aber kamen dann die Christen, zerbrachen die Schädel, rissen die gemörtelten Steinmauern ein und fällten die Eichen; doch dieser Schrein hier schien seit tausend Jahren im tiefen Wald zu stehen. Kleine Wollfäden waren zum Zeichen für die Gebete, die die Menschen in diesem Hain verrichteten, zwischen die Steinritzen gestopft worden.
Es war still unter den Eichen; eine lastende Stille. Issa sah von seinem Platz unter den Bäumen zu, wie ich in den Mittelpunkt des Halbkreises trat und Hywelbanes schweren Schwertgurt löste.
Ich legte das Schwert auf den flachen Stein, der den Mittelpunkt des Schreins markierte, und zog den sauberen weißen Rippenknochen aus meinem Beutel, der mir Macht über Lancelots Vermählung verlieh. Ich legte den Knochen neben das Schwert. Zuletzt legte ich die kleine Goldbrosche auf den Stein, die Ceinwyn mir vor so vielen Jahren geschenkt hatte. Dann streckte ich mich lang auf dem dichten Laubteppich aus.
In der Hoffnung auf einen Traum, der mir sagen würde, was ich tun sollte, schlief ich ein, aber es wollte sich kein Traum einstellen. Vielleicht hätte ich einen Vogel oder ein Tier opfern sollen, bevor ich einschlief, ein Opfer bringen, das einen Gott bewegen würde, mir die gesuchte Antwort zuteil werden zu lassen, aber es gab keine Antwort. Es gab nur Schweigen. Ich hatte mein Schwert und die Macht des Knochens in die Hände der Götter gelegt, in die Obhut von Bel und Manawydan, von Taranis und Lleullaw, aber sie ignorierten meine Gabe. Es war nur der Wind in den Baumwipfeln zu hören, das Kratzen von Eichhörnchenkrallen auf Eichenästen und das unvermittelte Hämmern eines Spechtes.
Als ich erwachte, blieb ich still liegen. Zwar hatte ich nicht geträumt, aber ich wußte, was ich wollte. Ich wollte den Knochen nehmen und entzweibrechen, und wenn diese Geste bedeutete, daß ich die Dunkle Straße, die in Diwrnachs Königreich führte, beschreiten mußte, dann sollte es eben so sein. Aber genausosehr wünschte ich mir, daß Arthurs Britannien geeint und gut und wahr würde. Und ich wollte, daß
meine Männer Gold und Land und Sklaven und Rang bekämen. Ich wollte die Sachsen aus Lloegyr vertreiben. Ich wollte die Schreie der Männer in einem durchstoßenen Schildwall hören und das Schmettern der Kriegshörner, die ein siegreiches Heer begleiteten, wenn es einen zersprengten Feind ins Verderben trieb. Ich wollte mit meinen Sternenschilden in die östlichen Ebenen einmarschieren, die seit Generationen kein freier Brite mehr gesehen hatte. Und ich wollte Ceinwyn. Ich richtete mich auf. Issa war näher gekommen und hatte sich neben mich gesetzt. Er muß sich gefragt haben, warum ich so intensiv auf diesen Knochen starrte, aber er stellte mir keine Fragen.
Ich dachte an Merlins kleinen, niedrigen Turm aus Knochen, der Arthurs Traum darstellte, und fragte mich, ob dieser Traum tatsächlich in sich zusammenbrechen würde, wenn Lancelot sich nicht mit Ceinwyn vermählte. Diese Vermählung konnte wohl kaum die Klammer sein, die Arthurs Bündnis zusammenhielt – sie war lediglich ein Mittel, um Lancelot auf den Thron zu setzen und Powys einen Fuß in Silurias Königshaus zu verschaffen. Wenn es nicht zu dieser Vermählung kam, würden die Heere von Dumnonia, Gwent, Powys und Elmet trotzdem gegen die Sais marschieren. Das alles wußte ich, und das alles traf zu, aber ich spürte auch, daß
dieser Knochen Arthurs Traum irgendwie zunichte machen konnte. In dem Moment, wo ich den Knochen zerbrach, verschwor ich mich Merlins Suche, und diese Suche würde mit Sicherheit Feindseligkeit nach Dumnonia bringen – die Feindseligkeit der alten Heiden, welche die emporgekommene Christenreligion aus tiefstem Herzen haßten.
»Guinevere«, sagte ich plötzlich laut.
»Lord?« fragte mich Issa verwundert.
Zum Zeichen, daß ich nichts weiter zu sagen hatte, schüttelte
Weitere Kostenlose Bücher