Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
freut sich zweifellos schon auf Eure Ankunft.«
Wußte Diwrnach tatsächlich, daß wir die Dunkle Straße benutzen wollten? Oder hatte Cadwallon nur geraten?
Vorsichtshalber spie ich aus, um uns alle vor dem Bösen zu beschützen. Die Wintersonnenwende stand bevor, die längste Nacht des Jahres, in der das Leben verebbt, kaum Hoffnung ist und die Dämonen die Luft beherrschen. Und ausgerechnet dann würden wir uns auf der Dunklen Straße befinden. Cadwallon hielt uns für töricht, Diwrnach wartete auf uns, und wir selbst wickelten uns in Pelze und schliefen.
Am nächsten Morgen schien die Sonne und verwandelte die Gipfel ringsum in so blendend weiße Spitzen, daß es den Augen weh tat. Der Himmel war fast klar, ein kräftiger Wind wirbelte den Schnee vom Boden auf und blies ihn in glitzernden Wolken über das weiße Land. Wir beluden die Pferde, nahmen dankend ein Schaffell entgegen, das Cadwallon uns widerwillig schenkte, und machten uns zur Dunklen Straße auf, die unmittelbar nördlich von Caer Gei begann. Es war eine Straße ohne Ansiedlungen, ohne Bauernhöfe, ohne eine Menschenseele, die uns Obdach gewährt hätte; nichts als ein unwegsamer Pfad durch die wilde Barriere der Berge, die Cadwallons Kernland vor Diwrnachs Blutschilden schützte. Den Anfang der Straße markierten zwei Stangen, beide von einem mit Stoffetzen umwundenen Menschenschädel gekrönt, von dem lange Eiszapfen herabhingen. Die Schädel waren gen Norden gerichtet, wo Diwrnach saß, zwei Talismane, die das Böse hinter den Bergen zurückhalten sollten. Ich sah, daß Merlin ein eisernes Amulett an seinem Hals berührte, als wir zwischen den
Zwillingsschädeln hindurchzogen, und dachte an seine furchtbare Voraussage, daß er in dem Augenblick zu sterben beginnen werde, da wir die Dunkle Straße betraten. Als unsere Stiefel nun knirschend über die unberührte Schneedecke der Straße stapften, wußte ich, daß sein Todesschwur zu wirken begonnen hatte. Ich beobachtete ihn, konnte aber keinerlei Anzeichen von Unwohlsein entdecken, obwohl wir den ganzen Tag lang bergauf kletterten, immer wieder auf Schneeflächen ausrutschten und in einer Wolke des eigenen Atems dahintrotteten. Die Nacht verbrachten wir in einer verlassenen Schäferhütte, die zum Glück noch ein löchriges Dach aus alten Holzschindeln und faulendem Stroh hatte; denn mit diesem Material konnten wir ein Feuer machen, das in der schneeigen Finsternis müde flackerte.
Am folgenden Morgen hatten wir höchstens eine
Viertelmeile zurückgelegt, als über und hinter uns ein Hornruf ertönte. Wir blieben stehen, wandten uns um und beschatteten die Augen mit der Hand. Auf dem Kamm eines Hanges, den wir am Abend zuvor herabgerutscht waren, entdeckten wir eine Reihe von Männern. Es waren fünfzehn, alle mit Schilden, Schwertern und Speeren bewaffnet. Als sie sahen, daß sie unsere Aufmerksamkeit erregt hatten, kamen sie halb laufend, halb rutschend den unsicheren Schneehang herabgehastet. Dabei lösten sie dicke, wolkige Schneefahnen aus, die vom Wind nach Westen davongetragen wurden.
Ohne auf meinen Befehl zu warten, formierten sich meine Männer zu einer Reihe, nahmen ihre Schilde vom Rücken und senkten die Speere, so daß sie einen Schildwall quer über die Straße bildeten. Ich hatte Cavans Verantwortung auf Issa übertragen, der den Männern jetzt befehlend zurief, fest standzuhalten; aber kaum hatte er ausgesprochen, da erkannte ich das seltsame Symbol auf einem der sich nähernden Schilde. Es war ein Kreuz, und dieses Christensymbol trug nur ein einziger Mann, den ich kannte: Galahad.
»Freunde!« rief ich Issa zu, dann stürmte ich den Männern entgegen. Inzwischen konnte ich sie deutlich ausmachen und sah, daß es sich um jene meiner Männer handelte, die in Siluria zurückgeblieben und von Lancelot gezwungen worden waren, als seine Palastwache zu dienen. Ihre Schilde trugen das Abbild von Arthurs Bären, doch angeführt wurden sie von Galahads Kreuz. Er winkte und schrie, und ich tat es ihm gleich, so daß
keiner von uns die Worte des anderen verstand, bis wir uns endlich trafen und uns umarmten. »Lord Prinz«, begrüßte ich ihn und umarmte ihn abermals, denn von allen Freunden, die ich jemals auf dieser Welt gehabt habe, war er der beste. Er war blond, und sein Gesicht war so breit und kraftvoll, wie das seines Halbbruders Lancelot schmal und
feingeschnitten war. Genau wie Arthur flößte er einem auf Anhieb Vertrauen ein, und wenn alle Christen wie Galahad gewesen
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