Artus-Chroniken 3. Arthurs letzter Schwur
einmal von vorn schlagen müssen. Zum endgültigen Sieg gibt es nur einen Weg.«
»Den Weg der Götter«, sagte ich.
»Den Weg der Götter«, stimmte er mir zu, »und genau das war mein Lebenswerk.« Einen Moment blickte er auf seinen schwarzen Druidenstab hinab, während Taliesin still dasaß und ihn beobachtete.
»Als Kind hatte ich einen Traum«, fuhr Merlin dann sehr leise fort. »Ich ging in die Höhle von Carn Ingli und träumte, ich hätte Flügel und könnte so hoch fliegen, daß ich die ganze Insel Britannien sah, und sie war so unglaublich schön! Wunderschön, grün und von einem dichten Nebel umgeben, der alle Feinde von ihr fernhielt. Diese gesegnete Insel, Derfel, diese Insel der Götter, dieser einzige Ort auf Erden, der ihrer würdig war, und seit diesem Traum, Derfel, habe ich mir immer nur das gewünscht. Diese gesegnete Insel zurückzuholen. Die Götter zu uns zurückzuholen.«
»Aber …«, versuchte ich ihn zu unterbrechen.
»Sei nicht albern!« schalt er mich, und Taliesin lächelte. »Denk nach!« bat mich Merlin. »Mein Lebenswerk, Derfel!«
»Mai Dun«, sagte ich leise.
Da nickte er und schwieg eine Weile. In der Ferne sangen Männer, und ringsum brannten Feuer. Die Verwundeten schrien im Dunkeln, wo Hunde und Raubtiere sich an den Toten und Sterbenden gütlich taten. Am Morgen würde dieses Heer betrunken erwachen und sich dem Grauen einer Walstatt nach der Schlacht stellen müssen, jetzt aber sangen sie und schütteten das erbeutete Ale in sich hinein. »Auf Mai Dun«, brach Merlin das Schweigen, »kam ich meinem Ziel nahe. Sehr nahe. Aber ich war zu schwach, Derfel, ich war zu schwach. Ich liebe Arthur zu sehr. Warum? Er ist nicht geistreich, seine Gespräche können ebenso langweilig sein wie Gawains, und er besitzt einen wirklich albernen Hang zur Tugend, aber ich liebe ihn. Genau wie zufällig auch dich. Eine Schwäche, ich weiß. An geistig beweglichen Männern kann ich mich erfreuen, aber lieben kann ich nur aufrichtige Männer. Ich bewundere nämlich die schlichte Kraft, und auf Mai Dun habe ich mich von dieser Liebe schwach machen lassen.«
»Gwydre«, sagte ich.
Er nickte. »Wir hätten ihn töten müssen, doch mir war klar, daß ich das nicht konnte. Nicht Arthurs Sohn. Das war eine ganz schreckliche Schwäche.«
»Nein.«
»Sei nicht albern!« wehrte er müde ab. »Was ist Gwydres Leben gegen das der Götter? Oder gegen die Aussicht, Britannien wiederherzustellen? Gar nichts! Aber ich konnte es einfach nicht tun. O
ja, ich hatte Ausreden parat. Caleddins Schriftrolle ist sehr deutlich; da steht, der ›Sohn des Königs eines Landes‹ müsse geopfert werden, und Arthur ist kein König, aber das ist Haarspalterei. Der Ritus erforderte Gwydres Tod, und ich habe es nicht übers Herz bringen können, ihn zu töten. Gawain zu töten war kein Problem; es war mir sogar ein Vergnügen, diesem jungfräulichen Narren das Maul zu stopfen. Aber nicht Gwydre, und deswegen blieb das Ritual unbeendet.« Er wirkte jetzt elend, zusammengesunken und elend. »Ich habe versagt«, ergänzte er bitter.
»Und Nimue will Euch nicht vergeben?« erkundigte ich mich zögernd.
»Vergeben? Sie weiß nicht mal, was dieses Wort bedeutet!
Vergebung ist für Nimue eine Schwäche! Und nun wird sie das Ritual ausführen, Derfel, und sie wird dabei nicht versagen. Und wenn sie dafür jeden einzelnen Sohn einer Mutter in Britannien töten müßte – sie wird es tun! Sie wird alle zusammen in den Topf stecken und mit Begeisterung umrühren!« Er lächelte ein wenig schwach; dann zuckte er die Achseln. »Aber jetzt hab’ ich das alles natürlich sehr viel schwerer für sie gemacht. Als alter, gefühlsduseliger Narr habe ich Arthur geholfen, diesen Kampf zu gewinnen. Dazu habe ich Gawain benutzt, und deswegen, glaube ich, haßt sie mich jetzt.«
»Wieso?«
Er hob den Blick zum raucherfüllten Himmel, als flehe er die Götter an, mir wenigstens ein winziges Gran Erkenntnis zuteil werden zu lassen. »Glaubst du, du Narr«, fragte er mich, »daß es so einfach ist, den Leichnam eines jungfräulichen Prinzen zu finden? Es hat mich Jahre gekostet, das Hirn dieses Schwachkopfs so mit Unsinn vollzustopfen, daß er bereit war, das Opfer zu bringen! Und was habe ich heute getan?
Ich habe Gawain verschwendet! Und zwar nur, um Arthur zu helfen.«
»Aber wir haben gesiegt!«
»Sei nicht albern.« Aufgebracht funkelte er mich an. »Ihr habt gesiegt? Was ist denn dieses abstoßende Zeug da auf deinem
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